Weihnachten 2006
Sein und Haben
Von Ingrid Müller
(aus Tagesspiegel vom 24.12.06)
Uns geht´s gut. Vor Weihnachten waren die Geschäfte endlich wieder voll.
Wer an den Adventssamstagen im KaDeWe etwas Schönes für die Lieben
erstehen wollte, tat gut daran, zu überlegen, ob er schon alles beisammen
hat und sich an der Kasse anstellt – denn die Schlangen waren in manchen
Etagen gigantisch. Der Einzelhandelsverband jubelt. Auch die
Wirtschaftsinstitute haben nichts zu meckern, sondern ihre
Wachstumszahlen fröhlich nach oben korrigiert. Uns geht´s gut. Welch ein
Fest nach all dem Jammern. Oder etwa nicht?
Uns geht´s gut. Wir sind modern. Haben feste Unterhaltungselektronik
gekauft. MP3-Player, Flachbildschirme, Handys, Playstations. Sogar die
katholische Kirche will dabei sein. Ihre Priester versenden für alle
unterwegs per SMS einen Reisesegen. Selbst die 80-jährige Queen springt
auf den Zug der Zeit – ihre Weihnachtsbotschaft an die Untertanen gibt es
diesmal auch als Podcast. Über die Generationen will sie sprechen.
Darüber, was Junge den Alten zu bieten haben und was Alte den Jungen.
Geht´s uns gut?
Jeder neunte Bundesbürger hat in einer Umfrage angegeben, an
Weihnachten sei er einsam. Jeder siebte Berliner kann seine Rechnungen
nicht mehr bezahlen. Viele Überschuldete haben sich dennoch ins
Weihnachtsgeschäft locken lassen. Bei Frank Zanders jährlicher
Weihnachtsparty in Berlin sind 2000 Obdachlose aufgekreuzt – mehr als je
zuvor. Geht´s uns gut?
Einem Teil geht es gut. Immer besser sogar. Aber es wächst auch die Zahl
derer, denen es schlechter geht. Viele davon kennen sich im Internet aus.
Manche versuchen, dort der Einsamkeit zu entfliehen. Manche kaufen dort
ein. Sind ganz modern. Aber kommen in den modernen Zeiten doch nicht
zurecht. Machen ihren Kindern öfter nichts zum Frühstück, bevor die in die
Schule gehen. Geht´s uns gut?
Vielleicht sind wir gerade an einem Wendepunkt . Wie gut sind wir darin,
aus der auseinanderklaffenden Gesellschaft wieder ein
zusammenpassendes System zu schmieden? Wo wir weniger
nebeneinander und wieder mehr miteinander leben? Damit es uns weiter
gut geht. Wie gut sind wir darin, andere teilhaben zu lassen? Eine Chance,
sich der Frage zu stellen, bieten der Politik EU- und G-8-Präsidentschaft.
Für den Umgang im eigenen Land wie für den Umgang mit der Welt. Das
wird uns fordern. Alle zusammen. Und jeden Einzelnen. Wer kann noch
etwas abgeben? Wem sind wir bereit, etwas (ab-) zu geben? Das mag
altmodisch klingen in unserer ach so modernen Welt. Aber nur zusammen
sind wir stark. Welche Folgen es hat, wenn sich die Schere zwischen unten
und oben zu weit öffnet, können wir in anderen Ländern gut besichtigen.
Länder, in denen die meisten von uns nicht wohnen möchten. Auch die, die
viel haben, nicht. Denn letzten Endes müssen sie sich dort oft hinter hohen
Mauern verschanzen. Geht es einem dann gut?
Jenseits von iPod und Playstation haben sich viele Kinder rund um die
Globus übrigens einen altmodischen Glauben erhalten: 250 000 Wünsche
kamen beim deutschen Weihnachtsmann an. Der Favorit: Schnee. Dass
die Kleinen schon merken, dass die Flocken immer öfter ausbleiben,
glauben die Engel vom Amt nicht. Dahinter stecke wohl doch der Wunsch,
es möge ihnen selbst gut gehen. Denn nur bei Schnee kann der
Weihnachtsmann seinen Schlitten anspannen. Und die Geschenke
bringen. Dann geht´s uns gut.