Warum eine Behörde “Manipulation” verhindert…
Dass immer wieder versucht wird, irgendwo zu manipulieren, überrascht ja nicht. Dass es erfreulicherweise auch Versuche gibt, Manipulationen zu verhindern, wissen wir auch. Die Erkenntnis, dass eine sehr ungewöhnliche “Manipulation” drohte, die die Kreisverwaltung verhindert hat, verdanken wir der Antwort der Kreisverwaltung auf eine schriftliche Anfrage der SBL/FW-Kreistagsfraktion!
Der Sachverhalt ist etwas kompliziert. Es geht – mal wieder – um den Entwurf der Fortschreibung des Rettungsdienstbedarfsplans, der am Freitag (28.10.2016) vom Kreistag beschlossen werden soll. Dieser Plan legt z.B. fest, wie viele Rettungstransportwagen (RTW) zu welchen Zeiten in den 12 Rettungswachen im HSK mit Personal einsatzbereit sind. Falls die Mehrheit der Kreistags – wie fast immer – dem Vorschlag der Kreisverwaltung folgt, würde sich ab Januar 2017 eine drastische Reduzierung der Notfalleinsatzbereitschaft für die Rettungswachen im nordöstlichen Kreisgebiet, also in Marsberg, Brilon und Olsberg ergeben. Dort wird – wie in allen Rettungswachen im Kreisgebiet – rund um die Uhr ein RTW mit 2 Personen Besatzung einsatzbereit vorgehalten. Auch in diesen 3 Rettungswachen steht bisher außerdem an allen 7 Tagen in der Woche jeweils von 7 bis 19 Uhr ein zweiter RTW einsatzbereit, also 84 Stunden je Woche. Künftig soll der 2. RTW in Marsberg und Brilon nur noch an 8 Stunden pro Woche für Notfalleinsätze bereit stehen, in Olsberg an 40 Stunden pro Woche. Außerdem gibt es für alle 3 Rettungswachen zusammen noch ein weiteres Fahrzeug, das aber für Krankentransporte vorgesehen ist.
Die sog. Hilfsfrist beträgt im Kreisgebiet 12 Minuten: Diese Zeitspanne von der Alarmierung bis zum Eintreffen des RTW am Einsatzort soll nur in höchstens 10% aller Notfälle überschritten werden. Bisher lag der Anteil der Überschreitungen bereits um etwa die Hälfte höher als die Zielvorgabe. Hauptgrund ist, dass häufig in der eigentlich zuständigen Rettungswache kein RTW “frei” ist. Wenn nun die RTW ausgedünnt werden und gleichzeitig – wie in den letzten Jahren zu beobachten – die Anzahl der Einsätze steigt, ist zu erwarten, dass sich der Anteil der Fristüberschreitungen weiter erhöht. Das wäre sehr nachteilig für die Versorgung der Notfallpatienten. In Brilon stehen zwar künftig sogar 3 RTW in der Garage, aber Personal wird nur für einen Notfall-RTW vorgehalten.
Nun soll es künftig aber auch Rettungswachen geben, in denen sogar nachts ein 2. RTW einsatzbereit gehalten wird, obwohl dies keinen Sinn ergibt. Die Kreisverwaltung hatte Gutachter aus Bonn mit der Auswertung der Datensätze über die Einsätze des Jahres 2013 beauftragt.
In der Rettungswache Sundern sind im ganzen Jahr insgesamt lediglich 32 relevante Einsätze in allen 50 Nachtschichten angefallen, die an einem Freitag Abend begannen, also etwa 0,6 Einsätze pro Schicht. Trotzdem sollen dort laut Gutachten und Entwurf des Bedarfsplans künftig in dieser Schicht immer 2 RTW einsatzbereit sein. Ursächlich dafür ist ein einziger Einsatz im August 2013 beim Auftreten des Noro-Virus in einem Sommerferienlager in Sundern-Westenfeld. Dafür waren 33 RTW im Einsatz mit Einsatzdauern bis zu 15 Stunden je Fahrzeug. Nur durch diesen einen Massen-Einsatz erhöhte sich die angebliche Anzahl der Einsätze um die Hälfte, denn die RTW aus den Rettungswachen wurden so gezählt, als ob sie zu 15 einzelnen Einsätzen gefahren wären. Der statistische Durchschnitt für die Dauer eines Einsatzes stieg für diese Schicht von ca. 65 auf ca. 153 Minuten. So entstand nun statistisch ein angeblich dauerhafter Bedarf für einen 2. RTW in dieser Schicht.
Ein gleichartiger Fall trat im Bereich der Rettungswache Arnsberg durch den Brand in einem Altenheim an einem Freitag Abend im Oktober 2013 auf; hier waren 23 RTW im Einsatz, teilweise über 5 Stunden lang. Auch hier soll nun in der Schicht von Freitag Abend bis Samstag Morgen immer ein 2. RTW vorgehalten werden, während in der vorhergehenden Schicht am Freitag Nachmittag trotz größerer Einsatzhäufigkeit ein einziger RTW ausreichen soll.
Das waren übrigens im gesamten Jahr 2013 und im gesamten Kreisgebiet die einzigen beiden Notfalleinsätze zu Ereignissen, die als “MANV III” oder “MANV IV” klassifiziert sind. “MANV” steht dabei in der Sprache des Rettungswesens für “Massenanfall von Verletzten”, “III” für 13 bis 25 betroffene Personen, “IV” für mehr als 25 Personen.
In ihrer Antwort auf eine Anfrage zu diesen sehr merkwürdigen Erkenntnissen führte die Kreisverwaltung am 24.10.2016 aus: Es “wurden die Leitstellenrohdaten … nach, in Abstimmung mit dem Gutachter festgelegten Kriterien, bereinigt.” Und: “Eine weitere Nichtberücksichtigung einzelner Einsatzdaten stellt eine Manipulation der Datengrundlage dar… Finden einzelne Einsätze keine Berücksichtigung, sind sowohl die Glaubwürdigkeit des Gutachtens sowie die Sinnhaftigkeit der Fortschreibung des Bedarfsplans in Frage zu stellen“.
Diese “Logik” der misslungenen Bereinigung ist für Kommunalpolitiker, die nicht selbst Verwaltungsbeamte sind, schwer zu durchschauen. Denn dadurch wird unterstellt, dass auch künftig eine derartige Massenerkrankung oder ein Brand nur am selben Wochentag und zur selben Tageszeit und im Bereich derselben Rettungswache wie 2013 auftritt, aber nirgendwo und nirgendwann anders. Während sich Einsätze für Unfälle und plötzlich auftretende ernsthafte Erkrankungen sinnvoll nach Ort und Zeit kalkulieren lassen, ist das bei solchen einzelnen und seltenen Großereignissen nicht der Fall. Dann werden sowieso mehrere RTW benötigt, aus anderen Orten. Aber der nächste Noro-Virus oder der nächste Brand mit vielen Betroffenen könnten auch in jedem anderen Ort und zu jeder Zeit auftreten – was selbstverständlich niemand wünscht. Der 2. RTW in einer einzelnen Schicht in Sundern und Arnsberg bringt dafür keinen Nutzen.
Diese unsinnige Vorhaltung eines 2. RTW in den Nachtschichten in zwei Rettungswachen wird während der zu erwartenden Laufzeit des Rettungsdienstbedarfsplans zusätzliche Personalkosten von mehr als 500.000 Euro verursachen – ohne adäquaten Nutzen. Gleichzeitig fehlen an anderen Orten und zu anderen Zeiten dort dringend benötigte RTW. Tatsächlich wäre die “Manipulation” dann verhindert worden, wenn man für solche singulären Ereignisse kreisweite Notfallpläne aufstellen würde, und zwar für die gesamte Woche.
Besonders pikant: Ausgerechnet die von der Kreisverwaltung beauftragten Gutachter schreiben in einem im Jahr 2012 erschienenen Buch mit dem Titel “Regelwerk zur Bedarfsplanung Rettungsdienst” zum statistischen Umgang mit solchen Fällen: “Auszunehmen von der Grundannahme der Unabhängigkeit der Notfallereignisse und der damit verbundenen Anzahl an gleichzeitig benötigten Fahrzeugen sind besondere Schadenslagen, die einen gleichzeitigen Rettungsmittelbedarf über die dienstplanmäßige Regelvorhaltung hinaus im Versorgungsbereich der Rettungswache zur Folge haben und die nicht mehr unter die Aufgabenstellung zur Bemessung der Rettungsmittelvorhaltung für die Notfallrettung fallen.”
Sehr wahr! So sollte man es machen! Aber das wäre für die Kreisverwaltung ja eine “Manipulation”…