Journalismus mit mäßiger Qualität
Schon öfters haben wir auf diesen Seiten über Beiträge von Radio Sauerland berichtet. Immer wieder gibt es da eklatante Beispiele, dass beim Haussender nicht alles glänzt. Ein besonderes drastisches war die Meldung, mit der der Eindruck erweckt wurde, dem Hochsauerlandkreis drohe die Überfremdung, das ist hier nachzulesen.
Auch am heutigen Donnerstag abend zeigte sich, dass gute Vorbereitung von Beiträgen nicht immer gelingt. Es stand mal wieder ein “Stammtisch” des heimischen Senders an, gesponsert von einer Brauerei. Inhaltlich ging es um das Betreuungsangebot für unter dreijährige Kinder im HSK, unter dem Thema “Mama oder Kita”. Moderiert wurde die Veranstaltung in Brilon vom Chefredakteur.
Während der Diskussion gab es eine lange O-Ton-Einspielung von Dr. Rainer Böhm, Leitender Arzt am Sozialpädriatischen Zentrum in Bielefeld. Der ist in informierten Kreisen bekannt dafür, dass er bei Fremdbetreuung von unter-3jährigen “erheblichen chronischen Stress” entstehen sieht. Dies führe sowohl “zu anhaltend aggressiv-impulsiven Verhaltensänderungen als auch zu somatischen Symptomen wie Infektionen, Neurodermitis und Kopfschmerzen”, erhöhe “das Risiko für psychische Störungen im Erwachsenenalter, insbesondere für Depression”. So hat er es vor wenigen Tagen auch beim Familienausschuss des Bundestages in Berlin vorgetragen, bei der Anhörung zum Betreuungsgeld und aufgrund einer von der CSU veranlaßten Einladung. Heute abend sollte die Botschaft Böhms anscheinend vor Fremdbetreuung von Kindern warnen. Als “Beleg” führt Böhm immer wieder die NICHD-Studie zur Kleinkindbetreuung an. Die wurde auch heute abend vom Moderator hervorgehoben, als “bundesweite” wissenschaftliche Studie.
Doch damit lag der Moderator völlig daneben. Denn NICHD bedeutet “National Institute of Child Health and Human Development”. Es handelt sich um eine Längsschnitt-Untersuchung aus den USA, bei Personen, deren Fremdbetreuungszeit schon 10 – 20 Jahre zurück liegt, in qualitativ schlechten Einrichtungen. Sie ist alles andere als repräsentativ, denn als die untersuchten Kinder 12 Jahre alt waren, lagen nur noch für weniger als 300 Kinder vollständige Daten vor. Zudem sind Mütter mit höheren Bildungsabschlüssen überrepräsentiert, während Farbige und Ausländer nur viel zu geringe Anteile haben. Im Alter von 3 bis 54 Monaten erlebten sie durchschnittlich mehr als fünf verschiedene Betreuungsarrangements (laut M.R. Textor, Online-Handbuch Kindergartenpädagogik). Kurzum: Die Studie ist wissenschaftlich sehr umstritten, und hat mit der Situation in Deutschland überhaupt nichts zu tun. Aber der Chefredakteur von Radio S preist sie als wissenschaftlich fundierte bundesweite Forschung an??? So kann man auch Meinung machen…
Interessant am Rande: Ein auf dem Podium sitzendes Kreistagsmitglied der SPD forderte, bei der U3-Betreuung mehr auf die Wünsche der Eltern einzugehen. Genau dies hatte die SBL im Mai 2012 mit einer Anfrage an den Landrat vorgeschlagen, orientiert am guten Beispiel des Nachbarkreises Soest. Doch der Landrat und seine Verwaltung lehnen dies ab, und die SPD schwieg dazu bisher.
Die Zuschauer durften sich beim Stammtisch von Radio S übrigens nicht zu Wort melden. Vielleicht hätten sie etwas zur Bewertung der Studien beitragen können, wenn sie hätten reden dürfen…