Zwei Mitglieder der Kreistagsfraktion Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) verfolgten am 24.10.2017 die „mündliche Verhandlung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster“.
Worum ging es? Verhandelt wurden die Klagen gegen die im Juni 2016 im NRW-Landtag beschlossene 2,5 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen (auch “Kommunalvertretungsstärkungsgesetz” genannt). Die Organklagen sind von mehreren kleinen und von ihrer politischen Ausrichtung her höchst unterschiedlichen Parteien eingereicht worden wie beispielsweise von der PIRATEN-Partei, DIE LINKE, PRO NRW und der ÖDP gemeinsam mit den FW. Für Dienstag den 24.10. 2017 war nun erstmal die Anhörung der Antragsteller und Antragsgegner angesetzt. Im Saal also eine „geballte Ladung“ Juristen und die ein oder andere Polit-Prominenz.
Der Sitzungssaal war voll. Die zwei SBL-erinnen saßen etwas gequetscht auf den fast allerhintersten Plätzen. Macht nichts, es war nur etwas eng, dafür schön warm und vor allem sehr, sehr spannend.
Die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs bestätigte die Zulässigkeit der Anträge. Sie erklärte noch einiges mehr. Die Verhandlung konnte beginnen.
Aber kommen wir gleich zur (Haupt-)Sache. Und das sind die Argumente kontra und pro Sperrklausel. Achtung! Wir bitten um etwas Aufmerksamkeit für die „Statements“ der Anwälte der Antragsteller. Keine Sorge, wir beschränken uns hier nur auf einige wenige kurze Aussagen und auf die mit möglichst wenig „fachchinesisch“. Vielleicht deuten diese Fragmente ja eine Tendenz an!? Also, hier die Antragssteller:
„Die zentrale Vorschrift ist das Grundgesetz“
„Die Wahlrechtsgleichheit ist ein Teil des Demokratieprinzips“
„Der Schluss, dass sich durch die fraktionslosen Ratsmitglieder eine Funktionsunfähigkeit zeigt, ist nicht erwiesen“
„Die größte Stärkung der Kommunalvertretung ist die Aufhebung des Kommunalvertretungsstärkungsgesetzes“
Dem stellen wir vier Aussagen der juristischen Vertreter der Antragsgegner (CDU, SPD und Grüne) entgegen:
„In diesem Fall bricht Bundesrecht NICHT Landesrecht“
„Was Wahlrechtsgleichheit ist steht nicht in der Verfassung“
„Vor der Aufhebung der Sperrklausel gab es keine Zersplitterung der Räte“
„Ohne Sperrklausel wird es immer schwieriger Bürgerinnen und Bürger für Mandate zu gewinnen“
Dazu muss man wissen, dass die Sperrklausel im Jahr 1999 bereits einmal vom Landesverfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt worden ist. Offenbar hatte die gesetzgebende Mehrheit damals die Rechtslage falsch eingeschätzt!?
Auch im Jahr 2017 bewerten Juristen das Sperrklausel-Gesetz höchst unterschiedlich.
Und wie äußerten sich jetzt die Richter? Vier Beispiele:
„Die rote Linie ist die, die das Grundgesetz vorgibt“
„Der Gestaltungsspielraum der Landesgesetzgeber ist eng bemessen“
„Der Gesetzgeber darf sich nicht auf die rein theoretische Möglichkeit der Störung (der Ratsarbeit) beziehen“
„Der Gesetzgeber muss die Störung (der Ratsarbeit) ausreichend belegen”
Uns Zuhörerinnen beindruckten ganz besonders die Wortmeldungen einiger Rats- und Kreistagsmitglieder. So beschrieb ein weit hinten im Raum platzierter Kommunalpolitiker sozusagen ein Paradebeispiel von Machtgehabe. Als er sich nämlich heute im Gerichtssaal auf seinen für ihn eigens reservierten Platz ganz vorne setzen wollte, reklamierte eine „wichtigere“ Person diesen Stuhl für sich. Ihm sei das ja nicht so wichtig, sagte der Kommunalpolitiker, aber ….
Ein Ratsmitglied aus Dortmund äußerte sich schockiert darüber, dass man in ihm eine Gefahr für die Demokratie sehe. Er sei schon lange ehrenamtlich in der Kommunalpolitik. In Dortmund wären jetzt 11 Gruppen im Stadtrat. Die Ratssitzungen seien dadurch nicht länger, sondern sogar kürzer als früher, weil die Redezeit begrenzt worden ist. Die Mehrheiten wären ohnehin zementiert. In den großen Fraktionen gebe es wenige Wortführer.
Eine Formulierung des bevollmächtigten Juristen der Antragsgegner war den Anwälten der Kläger offenbar ein besonderer Dorn im Auge. Er hatte mit „Optimierung der Räte“ argumentiert. Diese Aussage sei entlarvend, meinte einer seiner Berufskollegen.
Bei der Anhörung im Landtag wären ja praktischerweise hauptsächlich die Bürgermeister zu Worte gekommen, äußerte ein anderer Rechtsanwalt. Absolut richtig fanden wir juristischen Laien auch die Aussage: „Die Aufgabe des Rates ist es, das Parlament zu kontrollieren.“ Und durchaus lebensnah und auch ganz witzig diese hier: „Je mehr sich die Bürgermeister darüber aufregen, desto besser gelingt die Kontrolle!“
Nun gut, es gebe noch viel viel mehr über die 3 Stunden mündliche Anhörung beim Verfassungerichtshof NRW zu schreiben. Andere, die das viel besser und fachmännischer können als wir, werden es bestimmt tun. Und ob und was wir da hinten im Gerichtssaal alles korrekt gehört und gedeutet haben, wissen wir nicht. Hoffentlich bekommen wir jetzt wegen dieses nicht optimierten Berichts kein Verfahren an den Hals!!!
Es bleibt spannend. Am Dienstag dem 21.11.2017 soll in Münster das Urteil verkündet werden. Wie heißt die alte Weisheit? „Bei Gericht und auf hoher See …“
Nachtrag:
Die Sauerländer Bürgerliste gehörte übrigens ursprünglich auch zu den klagenden Parteien und Wählergruppen. Doch leider hatten sich der Bevollmächtigte des Landtags und der Verfassungsgerichtshof für das Land NRW auf den Standpunkt gestellt, dass der von der Sauerländer Bürgerliste e.V. eingereichte Antrag formal „unzulässig“ sei, da nur Parteien im Sinne des Parteiengesetzes und nicht kommunale Wählervereinigungen bei Organstreitverfahren auf Landesebene beteiligungsfähig wären. Macht nichts, wir waren trotzdem da!