280 Aktenordner im abgedunkelten Hinterzimmer
Mehr als ein Jahr plätschert der Prozeß beim Landgericht Paderborn gegen 5 Angeklagte (Verantwortliche der Firma „GW Umwelt“ aus Borchen und einiger ihrer Geschäftspartner) nun schon so vor sich hin. Sie werden beschuldigt, durch die Aufbringung angeblichen Düngers, der mit der krebserregenden Chemikalie PFT (bestehend vor allem aus den Komponenten PFOS und PFOA) verseucht war, erhebliche Umweltschäden verursacht zu haben. 2006 fiel auf, dass Möhne und Ruhr erheblich kontaminiert und einige Trinkwasseranlagen betroffen waren. Eine der Haupteintragsquellen soll eine ehemalige Weihnachtsbaumkultur bei Brilon-Scharfenberg gewesen sein, auf der die Fa. GW Umwelt große Mengen verseuchter Schlämme aufgebracht hat.
Die Reihen im Saal des Landgerichts sind durch die zahlreichen Mitwirkenden sehr gut gefüllt: 9 Personen auf den Bänken des Gerichts, 6 auf der Seite der Staatsanwaltschaft und 16 auf der Seite der Angeklagten und ihrer Verteidiger. Im bisherigen Verfahrenverlauf gab es – trotz oder wegen des großen Aufgebots – jedenfalls keine wesentlichen Fortschritte, was u.a. an der Vorsitzenden der Großen Strafkammer und an sehr „passiven“ Zeugen liegen könnte…
Spannend wurde es an diesem Freitag (25.01.) Da trat der ehemalige Abteilungsleiter für Abfall-, Wasserwirtschaft und Bodenschutz im Landesumweltministerium, Harald Friedrich, als Zeuge im Prozeß auf. Den jetzt 60jährigen Biochemiker mit Wohnsitz Meschede hatte die frühere Landesumweltministerin Bärbel Höhn zweimal eingestellt und ihr Nachfolger Uhlenberg hatte ihn unter denkwürdigen Umständen entlassen. Vor seiner Befragung hatte Friedrich dem Gericht umfangreiche Ausarbeitungen zugeleitet.
Gleich am Anfang berichtete Friedrich, dass er noch am selben Morgen mit dem aktuellen Landesumweltminister Johannes Remmel telefoniert habe. Um auch über Vorgänge aus dem Ministerium aussagen zu können, erwarte er vielleicht noch während der Verhandlung eine Aussagegenehmigung auf sein Smart-Phone. Ansonsten werde er aus öffentlich zugänglichen Quellen vortragen.
Die Hauptthese von Friedrich: Das verseuchte Feld bei Brilon-Scharfenberg sei nur eine sehr nebensächliche Ursache für den damals sehr hohen PFT-Gehalt von Möhne und Ruhr. Er habe errechnet, dass die Möhnetalsperre damals 90 kg PFT enthalten habe, und aus dem Feld bei Scharfenberg seien täglich nur 27 Gramm PFT abgeflossen. Die PFT-Menge von 90 kg habe er aus der Konzentration im abfließenden Wasser hochgerechnet. Hier hätten Nachfragen an Friedrich kommen müssen, ob denn sicher sei, dass sich das PFT nicht am Abfluss aus der Möhnetalsperre höher konzentriere und wie die hohen Schwankungen des PFT-Gehalts im zu- und abfließenden Wasser mit seiner These von der gleichmäßigen Verteilung zu vereinbaren sei. Aber keiner der Berufsjuristen tat es…
Entscheidend gewesen für das PFT in der Ruhr sei laut Friedrich, dass 24 Klärwerke über 20 Jahre hinweg Klärschlämme produziert hätten, die dann entweder auf Feldern als Dünger ausgebracht oder zwischengelagert worden seien. Als Verursacher erwähnte er besonders eine Kläranlage bei Werdohl mit einem sehr nahe gelegenen Industriebetrieb. Viele Klärschlammläger in der Nähe der Möhne und der Ruhr seien laut Friedrich nicht nach unten abgedichtet, so dass von ihnen PFT in die Gewässer gelange. Ein solches Klärschlammlager befände sich auch bei Scharfenberg; auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft konnte Friedrich allerdings bis zum Mittag die Lage bei Scharfenberg nicht näher bezeichnen.
Gericht und Staatsanwaltschaft hielten Friedrich vor, dass eine im Verfahren gehörte Gutachterin zuvor ausgesagt hätte, 99,7% des am Wasserwerk hinter der Möhnetalsperre gemessenen PFOAs stammten vom Feld bei Scharfenberg. Friedrich stelle dazu nur fest, dass er diese Dame mal eingestellt habe.
Als Beleg für die untergeordnete Bedeutung der Fläche bei Scharfenberg führte Friedrich an, dass die PFT-Fracht im Verlaufe der Möhne immer weiter angestiegen sei. Leider gab es im Gericht und bei der Staatsanwaltschaft niemanden, der nachfragte, ob das nicht damit zusammenhinge, dass die Fa. GW Umwelt auch im Kreis Soest (insbesondere bei Rüthen und bei Lippstadt) PFT-haltige Klärschlämme auf Felder aufgebracht hat…
Friedrich erhob schwere Vorwürfe gegen die Kreisverwaltungen in Meschede und Soest sowie gegen die Bezirksregierung Arnsberg. Die Kreisverwaltungen hätten nicht die erforderlichen Messungen in den Klärschlämmen vorgenommen, und die Bezirksregierung Arnsberg hätte lieber weggeschaut; in den anderen Bezirksregierungen im Land NRW wäre das anders abgelaufen. Außerdem seien von Behörden die veröffentlichten PFT-Messwerte manipuliert worden; dies könne er beweisen. Zur Arbeit des Umweltministeriums, z.B. im Zusammenhang mit der genehmigten Einfuhr von Klärschlämmen aus den Niederlanden und aus Belgien, sagte Friedrich allerdings nichts…
Ursächlich für die Großzügigkeit der Behörden seien laut Friedrich in einer “politischen Erklärung” die hohen Investitionen, den Betreibern der Kläranlagen und der Trinkwassergewinnungsanlagen drohen würden, wenn sie die Kläranlagen aufrüsten müsse. Friedrich sprach von Kosten in Höhe von insgesamt etwa 600 Mio Euro.
Krimi-ähnlich wurde es, als Friedrich von einem Aktenstudium besonderer Art berichtete. Einem Journalisten seien von einer ihm namentlich unbekannten Person 280 Aktenordner mit belastendem Material angeboten worden, gegen Geld. Der Journalist sei darauf hin zusammen mit Friedrich nach Bielefeld gefahren, wo er 8 Stunden lang im abgedunkelten Hinterzimmer eines Restaurants Einblick in die Akten und einige Fotos machen konnte. Ihm sei aufgefallen, dass durch das Material nur die Behörden belastet würden. Er habe daher dem Anbieter des Materials empfohlen, dass er für die Akten kein Geld nehmen könne, sondern sie der Staatsanwaltschaft übergeben solle. Der Oberstaatsanwalt berichtete anschließend, in der Staatsanwaltschaft seien auch Akten angekommen, aber es handele sich nur um etwa 90 Ordner. Bleiben die Fragen: Sind es dieselben Akten, warten irgendwo noch fast 200 Aktenordner auf ihre Entdeckung, oder hat sich mindestens einer der Beteiligten erheblich verzählt?
Die Fortsetzung folgt: Im Februar soll eine Gegenüberstellung von Friedrich mit einem weiteren Zeugen erfolgen.
Insgesamt ist der Stand des Verfahrens allerdings sehr bedenklich. Ein Ende ist nicht absehbar. “Die Wahrheit bleibt im Dunkeln”, titelte die Neue Westfälische am 11.01.2013. Bis zur Eröffnung hatte es bereits 5 ½ Jahre gedauert; vielleicht werden bis zu einem eventuellen Urteil mehr als 10 Jahre vergehen?? Bisher wurden an den mehr als 50 Verhandlungstagen immerhin 86 Zeugen gehört; 16 weitere Zeugen machten keine Aussage. Der Pressesprecher des Landgerichts stellt fest: “Da haben viele Zeugen keine vernünftige Erinnerung mehr.”
Beweise für Manipulationen bei der Fa. GW Umwelt und in mindestens einer Behörde gibt es nach Kenntnis der SBL in den Akten genug, auch ohne Zeugenaussagen. Möchte die Justiz wirklich die wahren Ursachen des Umweltskandals erforschen?