Hier ein ausführlicher Bericht vom Mittwoch Abend in Bestwig:
Am 09.11.2011 war in dem „Weiler“ Bestwig im Sauerland richtig was los. (Die Bezeichnung „Weiler“ benutze ich in Anlehnung an einen endlich wieder erwachten Dorf-Blogger aus dem Land der 1001 Berge, der vielleicht gerade über „Träkka“ mit trocknenden Tännchen hinten druff sinniert.)
Der Grund des Ereignisses in der Gemeinde Bestwig im Hochsauerlandkreis:
Die im Ort dominierende politische Partei hatte zu einer Bürgerversammlung eingeladen. Vermutlich ist das – normalerweise – nichts Außergewöhnliches. Doch was ist heutzutage schon normal?
In der Tat, es tat sich Außergewöhnliches; denn die CDU hatte die Grünen mitsamt ihrem Grünen Landesumweltminister Johannes Remmel mit ins Boot geholt (oder umgekehrt?). Dabei sind die Grünen in Bestwig bisher noch mit keinem einzigen Sitz im Gemeinderat jemals vertreten gewesen. Die neue Schwarz-Grüne Konstellation lag wohl am Thema des Abends oder, besser gesagt, des heftig lodernden Konflikts: „Weihnachtsbaum“.
Das Rathaus wurde schnell außergewöhnlich voll, die Sitzgelegenheiten gingen bald gänzlich aus. Die Referentenliste war ungewöhnlich lang (Vertreter von CDU und Grünen, Weihnachtsbaumproduzenten, Behörden, des Gartenbauverbands, der Hochsauerlandwasser GmbH und nicht zuletzt der neuen Bürgerinitiative „Giftfreies Sauerland“).
Ungewöhnlich auch das Thema: „Gift“. Genauer gesagt, es ging um das deutsche Kulturgut Weihnachtsbaum und den durch seine großflächigen „Kulturen“ bedingten Flächenverbrauch. Vor allem ging es aber um all das Zeug mit denen den Tännchen der Weg ins kurze Leben und lange Sterben als totchicker Weihnachtsbaum geebnet wird. Es ging um den massiven Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden wie z.B. RoundUp.
Die neu gegründete Bürgerbewegung „Giftfreies Sauerland“ (und nicht nur die) ist der Ansicht, die erwähnten Spritzmittel stünden im Verdacht giftige Stoffe (wie Glyphosat) zu enthalten, die krebserregend, fruchtschädigend und gewässertoxisch sind. Nicht ungewöhnlich ist, dass die in größerer Zahl anwesenden Weihnachtsbaumproduzenten eine andere Meinung zu ihren zugegebenermaßen in Einsatz befindlichen Spritzmitteln und -methoden haben. „Alles legal!“ Genau das bestätigten auch die Behördenvertreter (Landwirtschaftskammer und Untere Landschaftsbehörde, ja selbst der Minister). Zu Beanstandungen bei den (nicht allzu zahlreichen) Kontrollen durch die Landwirtschaftskammer sei es kaum gekommen.
Nur den Anwohnern schien es egal zu sein, ob legal oder illegal. Sie beklagten, ihre unmittelbar an die Weihnachtsbaum-“Kulturen“ angrenzenden Häuser und Grundstücke würden mit den Spritzmitteln der Weihnachtsbaumproduzenten immer wieder eingenebelt, sogar am Abend oder nachts. Früchte im Garten und Kaulquappen im Teich gingen ein. Und manch einer befürchtete, es handele sich bei den Spritzmitteln womöglich nicht ausschließlich um in Deutschland zugelassene Substanzen. Ob nicht vielleicht die ungeschützt arbeitenden polnischen Arbeiter …? Einige der unfreiwilligen Tannenbaum-Nachbarn führten traurige Beispiele an und machten ihren Sorgen und ihrem Ärger Luft. Es knisterte merklich im Saal.
Ganz ohne Chemie würde es wohl nicht abgehen, meinte ein älterer Herr. Jedoch müssten wir uns die Frage stellen, ob Dinge wie Weihnachtsbäume notwendig seien. Wir bräuchten sie nicht unbedingt. Nur für ein paar Mann seien sie der große wirtschaftliche Faktor. Und was hier betrieben würde, sei keine nachhaltige Holzwirtschaft.
„Nachhaltigkeit“, der etwas abgegriffene Begriff, fiel immer mal wieder an diesem Abend. Die Weihnachtsbaumproduzenten mussten sich die Frage gefallen lassen, wie sie denn Nachhaltigkeit bei ihrem Weihnachtsbaumanbau definieren. Eine einleuchtende Antwort kam nur vom Umweltminister: Nachhaltigkeit wäre der Verzicht auf die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln!
Ein heimischer Weihnachtsbaum-an-bauer mahnte, diese Diskussion sei nicht sauber und sprach von „prinzipieller Diffamierung“. Der liebe Gott habe ihnen (den Weihnachtsbaum-an-bauern) den Boden als Produktionskapital gegeben. Sie könnten den Boden bearbeiten. Er wäre ein dummer Bauer, wenn er den Boden mit Pflanzenschutzmitteln kaputt machen würde. Intensivkulturen seien wegen des hoch besiedelten Landes erforderlich. Dann schlug er einen weiten Bogen zu Billignahrungsmitteln von Discountern und Brathähnchen und sagte, dass die Diskussion auf ein Produkt runter gebrochen falsch sei. Glyphosat hätte schließlich auch die Zulassung für Kartoffeln. Rede – Gegenrede! Mit etwas Zeitverzögerung kamen die Einwürfe, wenn der Boden so wichtig sei, warum würde er dann tonnenweise (als Weihnachtsbäume mit Ballen) abgefahren und, dass die meisten Weihnachtsbaumflächen z.B. in Schmallenberg ja angepachtet seien.
Eine Bestwiger Bürgerin erinnerte an PFT. Waldbauern hätten Geld für das Aufbringen von PFT kassiert. „Um dieses Geld zu kriegen, muss man ein Parteibuch haben“, konstatierte sie. Große LKWs aus Paderborn seien zum Entladen auf Gebiete in Wasserschutzzonen gefahren.
Ein Bürger aus dem Ortsteil Ostwig wies kurz darauf hin, Weihnachtsbaumproduzenten seien keine Waldbauern.
Minister Remmel warnte zum Abschluss nach mehr als 3 Stunden Redebeiträgen und Diskussion: „Das Artensterben wird ein großes Problem. Wir löschen die Festplatte unserer Erde!“
Dieser Bericht ist wahrscheinlich a) zu kurz, b) längst nicht alle Aspekte und Beiträge berücksichtigend, c) einigen wahrscheinlich zu tendenziös.
Es folgt vielleicht noch ein weiterer, vielleicht … denn wir könnten beispielsweise noch berichten, was Herr Dietrich von der Hochsauerlandwasser GmbH zur Trinkwasserversorgung und der Zulässigkeit von Spritzmitteln in Wasserschutzgebieten berichtet hat, dass Minister Remmel das Forstgesetz ändern möchte und dabei auf die Unterstützung auch der CDU hofft (weil dann manches, was heute noch ganz legal ist, nach der geplanten Gesetzesnovellierung nicht mehr legal sein wird), dass immer noch anscheinend niemand (offiziell) weiß, wie viele Weihnachtsbäume in Bestwig stehen und wie viel Spritzmittel darauf gehauen werden, dass die Kontrahenten weiter aufeinander zugehen wollen … die Aufzählung könnte noch lang werden …
Alles in allem, es war ein außergewöhnlicher Abend. Fortsetzung folgt …
… spätestens am nächsten Dienstag im Kreishaus in Meschede!