Informationen und Meinungen zur Kreispolitik im HSK

Landesgesundheitsminister Laumann strebt Halbierung der Hausarztzahl an

By admin at 10:40 am on Saturday, January 20, 2024

Breit eingeladen hatte die Briloner CDU zu einer öffentlichen Veranstaltung mit Landesgesundheitsminister Laumann. Und immerhin mehr als 100 Gäste waren gekommen, darunter viel CDU-Prominenz (u.a. MdEP, MdL, Landrat, Vorsitzender der Kreistagsfraktion). Doch sie wurden – sofern es nicht CDU-Funktionäre waren – enttäuscht. Denn der Vortrag des Ministers enthielt außer viel Eigenlob und Polemik eine sehr beunruhigende Ankündigung: Gleich zu Beginn seines Vortrags erklärte Herr Laumann, für jeweils 3.000 Einwohner würde ein Allgemeinmediziner gebraucht.

Was bedeutet das in der Realität? Der Bedarf an Hausärzten wird anhand der vom “Gemeinsamen Budesausschuss” (G-BA) erlassenen “Bedarfsplanungs-Richtlinie” ermittelt. Nachzulesen ist sie hier. Dort steht in § 11 Abs. 4: “Die Allgemeine Verhältniszahl wird für die Arztgruppe der Hausärzte einheitlich mit dem Verhältnis: 1 Hausarzt zu 1.616 Einwohnern festgelegt.” Diese Quote wird auch im HSK fast exakt erreicht.

Nun beklagen sich heute schon viele Patientinnen und Patienten, dass es schwierig ist, einen Hausarzt zu finden, die/der sie betreut. Wenn nun der Landesminister die Verhältniszahl von 1.616 auf 3.000 fast verdoppeln will, bedeutet dass eine erhebliche Verschärfung die Situation. Bei einem Landesmonister, der 12 Amtsjahre aufzuweisen hat, muss man davon ausgehen, dass er die wesentlichen Rahmenbedingungen des Gesundheitswesen kennt. Leider war es in dieser Parteiveranstaltung nicht zugelassen, Fragen aus dem Publikum an den Minister zu richten. So konnte nicht geklärt werden, welche Motivation der Vertreter der Landesregierung für den drastischen Eingriff in das Niveau der hausärztlichen Versorgung hat.

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Vorzugsbehandlung für die AfD im HSK?

By admin at 11:24 am on Friday, March 25, 2022

Wer sich mit der Partei AfD beschäftigt, kann den Eindruck bekommen, dass es dort mehrere Arten von Politikern (Frauen sind sehr selten dabei) gibt: rechte, ganz rechte, noch rechtere, den völkischen Höcke-Flügel und noch extremere, die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen. Zur letzten Gruppe gehört M. Helferich, ein Rechtsanwalt aus Dortmund. Bis zur Neuwahl des NRW-Landesvorstandes am 05.02.2022 in Siegen war er stellvertretender Landesvorsitzender. Im September 2021 wurde er über die schon vor längerer Zeit aufgestellte Landesliste in den Bundestag gewählt, aber nicht in die AfD-Bundestagsfraktion aufgenommen. Seitdem gehört er dem Bundestag als fraktionsloses Mitglied an. Näheres zur Person steht bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Helferich.
Helferich bezeichnete sich selbst als “das freundliche Gesicht des NS” und als “demokratischen Freisler”.

Er ist ein so extremer Nazi, dass sogar ein großer Teil der AfD ihn aus der Partei entfernen möchte. Das führte dazu, dass am 02.08.2021 im AfD-Bundesvorstand über einen Antrag auf Parteiausschluss abgestimmt wurde. Das Ergebnis nach vielen übereinstimmenden Berichten: 6 Ja-Stimmen, 6 Enthaltungen, keine Gegenstimme. Trotz des eindeutigen Ergebnisses war die satzungsgemäß notwendige Mehrheit für einen Parteiausschluss nicht erreicht. Aber der AfD-Bundesvorstand beschloss eine “Ämtersperre”. Das kann der AfD-Bundesvorstand nach § 7 der Bundessatzung für Mitglieder eines Landesvorstandes für 2 Jahre tun, entweder “nur” als Antrag an ein Schiedsgericht oder als Sofortmaßnahme, die später aufgehoben werden kann, wenn sie vom Landesschiedsgericht nicht bestätigt wird. Helferich hat am 09.02.2022 auf “abgeordnetenwatch.de” selbst bestätigt, dass er bereits mit einer Ämtersperre belegt wurde und nur die Überprüfung noch aussteht:
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/matthias-helferich/fragen-antworten/sind-sie-der-meinung-dass-die-afd-verweichlicht-und-sich-den-altparteien-anbiedert-anstatt-eine-wahre
Der andere stellvertretende Landesvorsitzende Schild kritisierte laut NRZ diese Entscheidung: Dies sei eine “zu geringe Maßnahme”. “Ich hätte ein Parteiausschlussverfahren für die richtige Entscheidung gehalten”. Schild trat im Oktober 2021 zurück.
https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/afd-nrw-schild-ruecktritt-100.html

Warum ist das für den HSK bedeutsam?
Die AfD hat am 03.10.2021 in der Arnsberger Altstadt für die Aufstellung der beiden Wahlkreiskandidaten für die Landtagswahl im Mai eine Mitgliederversammlung durchgeführt. Als Versammlungsleiter wurde ausgerechnet der bekennende Nazi Helferich eingeladen.
Das wäre ja noch eine interne (aber bemerkenswerte) Parteiangelegenheit, wenn Helferich nicht auch die beiden Wahlkreisvorschläge der AfD unterschrieben hätte. Nach dem Landeswahlgesetz müssen die Wahlvorschläge von drei Mitgliedern des Landesvorstandes der vorschlagenden Partei unterschrieben werden. Es scheint aber, dass Helferich – aufgrund der Ordnungsmaßnahme des AfD-Bundesvorstandes!- sein Amt als Landesvorstandsmitglied nicht ausüben durfte. Dann durfte seine Unterschrift auf den Kreiswahlvorschlägen nicht mitzählen, und die Wahlvorschläge hätten als ungültig abgelehnt werden müssen.
Genau das passierte aber nicht.

Weiterer gravierender Mangel
Und die beiden Wahlvorschläge der AfD weisen einen weiteren Mangel auf, der bereits zu ihrer Zurückweisung hätte führen müssen. Laut Landeswahlgesetz müssen von der Wahlversammlung der Partei zwei Teilnehmer benannt werden, die durch eidesstattliche Erklärung bestätigen, dass die Kandidatenaufstellung in geheimer Wahl erfolgte und dass alle Bewerber vor der Aufstellung ausreichend Gelegenheit hatten, sich vorzustellen. Dies ist hier besonders relevant, da sich für einen der beiden Wahlkreise 2 Personen für die AfD bewarben. Im vorgegebenen Formular für die Niederschrift über die Wahlversammlung ist extra ein Feld vorgesehen, in dem die Namen der für die Abgabe der eidesstattlichen Erklärung benannten Personen einzutragen sind. Alle anderen 7 Parteien gaben diese Namen in den Protokollen an, die AfD jedoch nicht. Zwar wurden mit dem Wahlvorschlag eidesstattliche Erklärungen eingereicht, aber ohne Beauftragung durch die Versammlung sind diese wirkungslos. Da auch keine Teilnehmerliste vorgelegt wurde, ist noch nicht einmal klar, ob es sich überhaupt um Versammlungsteilnehmer handelt.

Prüfung der Wahlvorschläge fand nicht wirklich statt
Zuständig für die Vorprüfung der Wahlvorschläge ist der Kreiswahlleiter, hier der Landrat des HSK. Eingereicht wurden die beiden Wahlvorschläge der AfD am 04.02.2022, einen Tag vor dem Landesparteitag der AfD in Siegen. Der Kreiswahlleiter hätte u.a. prüfen müssen, ob die Wahlvorschläge ordnungsgemäß unterschrieben waren und die Niederschrift über die Wahlversammlung vollständig ist. Stattdessen wurde offensichtlich nur gezählt, dass 3 Unterschriften vorhanden waren; die Berechtigung wurde nicht überprüft. Und die fehlende Benennung der Personen für die Abgabe der zwingend notwendigen Erklärungen wurde auch nicht moniert.
Die rechtsverbindliche Prüfung und Entscheidung über die Zulassung obliegt gemäß Landeswahlgesetz allein dem Kreiswahlausschuss, nach Vorbereitung durch den Kreiswahlleiter. Dem aktuellen Kreiswahlausschuss gehören außer dem Landrat 6 vom Kreistag gewählte Beisitzer an, 3 von der CDU und je einer von SPD, Grünen und SBL. Die Prüfung scheinen die meisten Mitglieder des verantwortlichen Ausschusses nicht besonders ernst zu nehmen: 4 von ihnen schauten überhaupt nicht in die bereitgestellten Ordner mit den 16 Wahlvorschlägen für die beiden Wahlkreise im HSK. Eines des CDU-Mitglieder warf einen kurzen Blick (knapp eine Minute) in die Ordner, nur der SBL-Vertreter hatte sich ausführlich mit seinem Prüfungsauftrag befasst. Dabei fielen die Mängel auf.

Alles durchgewunken
Trotz der in der Sitzung ausführlich vorgetragenen Bedenken entschied der Kreiswahlausschuss in seiner öffentlichen Sitzung am 23.03.2022, auch die Wahlvorschläge der AfD zuzulassen. Selbstverständlich hat auch die AfD einen Anspruch darauf, dass ihre Wahlvorschläge zugelassen werden, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Genau das war hier aber nicht der Fall. Warum räumt die Mehrheit des Wahlausschusses im HSK der AfD dann besonders günstige Bedingungen ein? Jetzt könnte noch der Landeswahlleiter Beschwerde gegen die Zulassung einlegen, und nach der Landtagswahl könnten die AfD-Stimmen in einem Wahlprüfungsverfahren für ungültig erklärt werden.

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Briefwahl kann seit 16. August beantragt werden

By admin at 9:31 am on Wednesday, August 25, 2021

Am 26. September wird der Bundestag für 4 Jahre neu gewählt. Voraussichtlich wird der Anteil der Briefwählerinnen und Briefwähler dieses Mal höher sein als bei allen vorherigen Bundestagswahlen.

Über die Modalitäten der Briefwahl informiert z.B. die Stadt Arnsberg auf ihren Internetseiten:
https://www.arnsberg.de/aktuell/presseservice.php?http://www.presse-service.de/data.aspx/static/1079836.html
Hier kann der Briefwahlantrag auch gleich online gestellt werden:
kurzelinks.de/briefwahl-beantragen.

Wichtig: Anträge auf Ausstellung eines Wahlscheins für die Briefwahl sind bereits seit 16.08. möglich!
Einige Städte und Gemeinden im HSK informieren hierzu falsch. So schreibt die Stadt Brilon auf ihrer Internetseite: “Sobald Sie ihre Wahlbenachrichtigung erhalten haben, besteht für Sie die Möglichkeit der Briefwahl.” Dies stimmt nicht!! Der Versand der Wahlbenachrichtigungen verzögert sich in vielen Kommunen. Für den Antrag auf Briefwahl braucht kein Wahlberechtigter zu warten, bis sie/er die Wahlbenachrichtigung erhalten hat.

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“Durchaus positive Erfahrungen mit der Aufstellung eines Vogelschutzmaßnahmenplans”

By admin at 4:43 pm on Tuesday, February 2, 2021

Die GroKo im Rat der Stadt Brilon (Bürgermeister mit CDU und SPD) lehnt das geplante Vogelschutzgebiet (VSG) „Diemel- und Hoppecketal mit Wäldern bei Brilon und Marsberg“ vehement ab. In der Ratssitzung am 28.01. äußerten die Sprecher von CDU und SPD massive Zweifel an der Kompetenz des zuständigen Landesamtes und des Verein für Natur- und Vogelschutz im Hochsauerlandkreis e.V. (VNV). Die GroKo befürchtet großen Schaden für die Entwicklung der Stadt Brilon.

Die Naturschutzbehörde des HSK schafft dagegen eine wesentlich differenziertere und fachlichere Betrachtung. In einer heute veröffentlichten Sitzungsdrucksache für die nächste Sitzung des Umweltausschusses des HSK (am 11.02.) weist sie darauf hin, dass er VNV “ein anerkannter Naturschutzverband und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU)” ist. “In Zusammenarbeit mit der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft erfasst der VNV seit über 30 Jahren Daten zu über 50 Vogelarten und hat für diesen Bereich eine umfangreiche Brutvogelkartierung vorgelegt. Der Antrag des VNV wurde vom Landesamt für Natur, Umwelt, Klima- und Verbraucherschutz (LANUV) fachlich geprüft. Das LANUV kommt zu dem Ergebnis, dass die naturschutzfachlichen Voraussetzungen für die Ausweisung eines VSG nach der EU-Vogelschutzrichtlinie gegeben sind.”

“FFH– und Vogelschutz-Richtlinie gehören zu den wichtigsten Beiträgen der EU zum Erhalt der biologischen Vielfalt in Europa. Die Regelwerke werden zusammengeführt im Netzwerk NATURA 2000. Rechtsgrundlage für diese Vorhaben ist u.a. die „Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-RL) und 2009/147EG (V-RL) zum Habitatschutz (VV-Habitatschutz)“.

Weiter heisst es in der Sitzungsvorlage:
“Im zukünftigen VSG sind nach §§ 23 Abs. 2, 26 Abs. 2 Bundesnaturschutzgesetz alle Handlun-gen verboten, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung von Naturschutzgebie-ten führen bzw. die in Landschaftsschutzgebieten den Charakter des Gebietes verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen. Demnach ist bei zukünftigen Projekten und der Umsetzung von Bauvorhaben eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich (§ 34 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz –BNatSchG). Die VV-Habitatschutz listen allerdings eine große Anzahl von Fällen auf, die einer FFH-Prüfung nicht bedürfen, weil als Regelvermutung davon ausgegangen wird, dass eine erhebliche Beeinträchtigung nicht vorliegt. Dies sind z.B. privilegierte Bauvorhaben im Außenbereich im räumlichen Zusammenhang mit einer Hofstelle eines landwirtschaftlichen Betriebes, Unterhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten an Ver- und Entsorgungsleitungen oder der forstliche Wegebau.

In der Kulisse des Vogelschutzgebietes der Medebacher Bucht wird der Grundsatz „Grundschutz (über den Landschaftsplan) und Vertragsnaturschutz“ angewandt. Des Weiteren wurden und werden zahlreiche Naturschutzmaßnahmen (z.B. extensive Grünlandnutzung, Umwandlung von nicht standortgerechten Wäldern) mit Naturschutzmitteln des Landes NRW oder durch den Einsatz von Ersatzgeldern gefördert. Gerade die in diesem Bereich stattfindende intensive Beratung durch die Untere Naturschutzbehörde, die Biodiversitätsberaterin der Landwirtschaftskammer sowie die Mitarbeiter der Biologischen Station gewährleisten einen weitestgehend konfliktfreien Umgang mit der Schutzgebietsausweisung. Im Bereich der Medebacher Bucht wurden durchaus positive Erfahrungen mit der Aufstellung eines Vogelschutzmaßnahmenplans gemacht. Da sich im Bereich der Medebacher Bucht im Aufstellungsverfahren des Vogelschutzmaßnahmenplanes alle Bevölkerungsgruppen und Interessenvertreter aus der Region einbringen konnten, findet das Werk die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit. Vogelschutzmaßnahmenpläne sind Fachkonzepte, welche die Schutzziele der Verordnungen für die gebietsrelevanten FFH-Arten und Lebensraumtypen in der Fläche konkretisieren.

Das VSG hätte lt. Aussage des MULNV bereits deutlich früher ausgewiesen werden müssen; bedauerlicherweise hätten aber die erforderlichen Nachweise gefehlt, die jetzt nachgeliefert wurden. Die Prüfung kommt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Beachtung der ornithologischen Kriterien die Ausweisung eines VSG verlangt.”

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„Der Opa von Friedrich Merz“ (Teil 2 von 2)

By admin at 10:55 am on Friday, January 15, 2021

Über den Briloner Bürgermeister Josef Paul Sauvigny (1875-1967), die „Einigung alles deutschen Blutes“ 1933 und ein Vorläuferkapitel der CDU-Parteigeschichte (Fortsetzung)

Von Peter Bürger
(11.01.2021)

Die sogenannte „Volksgemeinschaft“ formiert sich

Nach der Machtübernahme der Hitler-Partei bleibt nun J.P. Sauvigny ohne weitere Umstände Bürgermeister von Brilon und leitet dort am 1. Mai 1933 eine Massenversammlung, auf der sich die sogenannte „Volksgemeinschaft“ der „Menschen deutschen Blutes“ formiert. Die loyale – vormals schwarze, alsbald eingebräunte – „Sauerländer Zeitung“ bringt nur seine Rede im Wortlaut-Zitat folgendermaßen (im Netz auch ein vollständiger Text des ganzen Berichtes):

„Das neu geformte Deutschland feiert heute seinen ersten Nationalfeiertag. […] jung und kraftvoll wie die Scharen seiner jugendlichen Träger, so steht das neue Reich vor uns. Noch brausen die Stürme der nationalen Revolution über es hinweg, diese Frühlingsstürme, die allen Unrat hinwegfegten, die die Wolken verjagen, die uns bisher die Sonne rauben wollten. Dieser Sturm, der so manchen hart ankommen mag, er wird sich legen, nachdem er die Luft gereinigt hat, von allen giftigen Dünsten, die sich in Jahren mißverstandener Freiheit und ohnmächtiger Selbstzerfleischung angesammelt hatten.
Dann erst wird die schwerste Zeit beginnen, die harte, entsagungsschwerste Arbeit des endlichen Wiederaufstieges. Doch während bisher sich deutsche Kraft und deutsches Aufbaustreben zerspalten und verbluten am Parteigezänk und ewigen Führerwechsel [sic], ist es heute ein Wille, der uns eint, eine Kraft, die uns leitet, ein Führer, der uns ruft. Vergessend des Parteienhasses von gestern, hat das große Sammeln begonnen, die Einigung aller Deutschen, deutschen Blutes zur gemeinsamen Tat, deren Sinnbild der heutige Festtag ist. […]
Im Auftrag der National-Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei heiße ich Sie alle auf das herzlichste
willkommen. Ich wünsche, daß Sie von aller Arbeit ruhend, ihr zur Ehre ein klassenversöhnendes, aufbaubereitendes Fest begehen. Ich fordere Sie alle auf, […] aufzustehen zur großen Tat, vereint mit Hand anzulegen an das große Befreiungswerk, zu dem wir alle aufgerufen sind, damit deutscher Arbeitswille wieder Raum, deutsche Arbeitsleistung wieder einen Boden findet. Ich bitte Sie sich zu erheben und mit mir einzustimmen in den Ruf: Das arbeitende deutsche Volk, sein ehrwürdiger Reichspräsident, die Verkörperung deutscher Treue, der Kanzler Hitler, sein tatgewordener Aufbauwille, sie leben hoch, hoch, hoch!“
14

Diese deutsche „Bluteinigungs-Rede“ wider die Weimarer Republik lässt sich nun wirklich durch nichts rechtfertigen oder beschönigen. Entsprechende frühe Versuche des Enkels 15 2004 irritieren in höchstem Maße, auch wenn die taz damals einige Abgründe der dokumentierten Ansprache noch gar nicht erschlossen hatte.

Nur zu bald tritt ein, was Bürgermeister Sauvigny laut Sauerländer Zeitung versprochen hat: Der Kreis Brilon wird von dem befreit, was die Nationalsozialisten unter „Unrat“ und „giftigen Dünsten“ verstehen. Es geht um Menschen: Zuerst sollen die – vor Ort kaum doktrinär ausgerichteten, z.T. gar katholischen – Kommunisten und andere Linke ausgeschaltet werden. 16

November 1933 wird man dann Schreie von Inhaftierten des Kreisgebietes aus dem Briloner Rathaus hören. An den Misshandlungen sind (angeblich auswärtige) SA-Leute und örtliche Nazis beteiligt. Im katholischen Milieu folgt auf das Quälen von Marxisten und deren KZ-Einweisung 1933 nur selten eine Solidarisierung. (Der Siegener Pfarrer Wilhelm Ochse17, der im gleichen Jahr u.a. einen Kommunisten zur fotografischen Dokumentation seiner Folterspuren anhält, gehört zu den echten Ausnahmen.)

Die wirklichen Briloner Vorbilder

In den Jahren der Weimarer Republik war Brilon eine überregional bedeutsame Hochburg des Friedensbundes deutscher Katholiken (FdK) gewesen, was am besten Sigrid Blömeke in ihrer Studie „Nur Feiglinge weichen zurück“ 18 erhellt. Die entschiedenen katholischen Pazifisten erkannten früh die völkische, insbesondere antisemitische Gefahr, verließen aber z.T. auch die konfessionelle Einheitspartei nach deren Rechtsschwenk (nebst Aufrüstungspolitik).

Schon 1931/32 terrorisierten sauerländische Nazis insbesondere die Leitgestalt Josef Rüther 19 mit Morddrohungen, Brandsätzen und Gewehrmunition. Als der Großvater von Friedrich Merz 1933 in Brilon seine „deutsche Bluteinigungsrede“ für die neue „Volksgemeinschaft“ hält, ist Rüthers Verfolgung schon zur Staatssache geworden. Der zuvor beamtete Gymnasiallehrer erhält nach Bespitzelung durch Schüler direkt Anfang 1933 Berufsverbot und lebt während der NS-Zeit in dauernder Angst (zuletzt versteckt in einer Waldhütte). Sein Bruder Theodor, Priester und vormals Zentrumsvorsitzender von Brilon, wird als Lehrer zwangspensioniert.

Andere Friedensbund-Katholiken sind ebenso Repressalien ausgesetzt. Zentrumsmann und Schneidermeister Wilhelm Schieferecke, der seine Werkstatt mit einem jüdischen Handwerkerkollegen teilt, wird Anfang 1933 aus der Stadtverordnetenversammlung ausgeschlossen. (Das ist ein anderes Schicksal als das des Bürgermeisters.)

Sein Bruder Anton Schieferecke (1882-1962), während der Weimarer Republik nach Zentrums-Austritt u.a. auch Briloner Ortsvorsitzender des demokratischen Reichsbanners, sabotiert 1933 die von Sauvigny geleitete Mai-Volkseinheitsfeier und verliert seinen Sitz im Sparkassenvorstand. Neun Männer der SA, welche den Bürgermeister Sauvigny bald auch zu den Ihrigen zählen wird (s.u.), zerren ihn aus dem Sitzungssaal des Rathauses.

Der Schreinermeisters wird als „Judenbannerführerhäuptling“ gebrandmarkt und sein Geschäft boykottiert, was zu einem schweren Ringen um die Existenz der Familie führt: „Er beteiligte sich während der NS-Zeit an keiner Wahl, grüßte nicht mit deutschem Gruß, flaggte nicht oder wenn, dann nur Schwarz-Rot-Gold […] oder Weiß-Gelb (Fahne des Papstes).“ Aufgrund seines antifaschistischen Verhaltens „wurde Anton Schieferecke wie sein Bruder Wilhelm und wie auch Josef Rüther nach dem gescheiterten Umsturzversuch am 20. Juli 1944 für kurze Zeit inhaftiert.“ 20

Die Beispiele sind keineswegs erschöpfend. Im weiteren Briloner Kreisgebiet musste z.B. auch der FdK-Mann Franz Butterwege (1881-1956) als erklärter „Judenfreund“ anlässlich der Pogrome 1938 zusammen mit seiner Frau Angriffe, wegen öffentlichen Streits mit Nazis sodann auch drei Monate lang Gefängnishaft erleiden.

Erst im Kontrastvergleich mit diesen und anderen drangsalierten Katholiken am Ort und im Wissen um frühe Folteropfer auch unter den Mitgliedern der deutschen Zentrumspartei kann man das Exempel des am Aufbau des NS-Staates beteiligten Briloner Bürgermeistes (Ex-Zentrum) mit gleichem Taufschein sachgerecht bewerten. Die Verfolgungsschicksale sind untrennbar mit dessen Weg des kommunalpolitischen Machterhaltes verbunden.

Abschied von der Macht im Jahr 1937

Eine geschichtswissenschaftliche Forschungsarbeit zu Josef Paul Sauvigny liegt noch nicht vor. Ihn entlastende und rühmliche Taten aus der NS-Zeit (1933-1945) im Sinne einer durch Quellen belegten „Widerständigkeit“ sind m.W. bislang nicht vorgetragen worden. Wir wissen lediglich, dass ihn die Nazis laut familiärer Überlieferung „angekotzt“ haben sollen (was nach 1945 nahezu alle Sauerländer von sich beteuerten).

Gewaltsam aus dem Amt gejagt und um seine Beamtenpension betrogen wurde der Briloner Bürgermeister jedenfalls nicht. Er war im Zeitraum von 100 Jahren erst das zweite Stadtoberhaupt, dem mehr als nur eine Amtszeit zukam. Im Zeitungsbericht zur Verabschiedung in den Ruhestand am 2. Juli 1937 wird das Grußwort des von den Nationalsozialisten eingesetzten Landrats Peter Schramm 21 (NSDAP ab 1932, SS ab 1933) so wiedergegeben:
Bürgermeister J.P. Sauvigny habe „nach den schwierigen Zeiten […] auch den Aufstieg noch miterleben dürfen. Nach der Machtübernahme habe er sich trotz seines vorgerückten Alters, entsprechend seiner nationalen Gesinnung sofort eingeschaltet und sein Amt stets im nationalsozialistischen Geiste verwaltet. Das sei sowohl von der Aufsichtsbehörde wie auch von der politischen Leitung durchaus anerkannt worden. Er spreche ihm dafür den Dank dieser Stellen aus und wünsche ihm noch einen langen Lebensabend in Brilon, als deren [sic] Mitbürger er sich auch ferner am öffentlichen Leben betätigen werde.“ 22

Bedroht war der Bezug seiner Beamtenpension, so die seit 17 Jahren im Netz zugänglichen (also nicht weggeklagten) Pressemeldungen, erst im Zuge der beiden „Entnazifizierungsverfahren“ nach Niederwerfung des deutschen Faschismus. Deren Akten (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf) ließ die taz 2004 ablichten 23: 1946 gibt J.P. Sauvigny im Fragebogen der Militärregierung an, er sei am 1. Juli 1933 (!) der SA beigetreten, und am 10.12.1947 vermerkt er selbst sein Amt als „Oberscharführer der SA Res[erve]“. Weitere Mitgliedschaften: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, NS-Reichskriegerbund und NS-Rechtswahrerbund (ein Unrechtswahrer-Bund).

Als Parteizugehöriger der NSDAP selbst, so weiß Sauvigny noch anzugeben, wird er erst ab 1938 – schon nicht mehr als Stadtoberhaupt – eingeschrieben. Das spricht nun – unabhängig vom Eintrittsprozedere – nicht gerade dafür, dass er im Juli 1937 aus seinem Briloner Bürgermeisteramt irgendwie im Streit mit eben dieser NSDAP ausgeschieden ist.

Die folgenden Wikipedia-Eintragungen 24 zu Ergebnissen der Entnazifizierungs-Verfahren fassen die Angaben aus den in diesem Beitrag angeführten Zeitungs-Recherchen (taz u.a.) so zusammen:
1947 „in die Kategorie 3 eingestuft. Wegen dieser Einstufung bekam er nur noch 60 % seiner Pension, und es wurde ihm verboten, öffentliche Ämter zu übernehmen. Er selbst nannte dies ein ‚schreiendes Unrecht‘; er sagte: ‚Eine persönliche Schuld kommt bei mir nicht in Frage‘. Er berief sich darauf, dass die Nazis ihn zwangspensioniert hätten. Er sei daher ein Nazigeschädigter.“

Dass NS-Kollaborateure aller Grade sich nach Kriegsende als Opfer vorstellen, ist der Regelfall. Speziell zum Briloner Bürgermeister teilt Pascal Beucker noch mit: „Sauvigny hatte Erfolg mit seiner Rechtfertigungslyrik. In der Berufung wurde er 1948 als ‚Mitläufer‘ in die Kategorie vier hinabgestuft, er erhielt wieder seine volle Pension.“ 25

Als historisches Vergleichsmaterial sei auf phantastische Exempel der „verbesserten Entnazifizierung“ eines antisemitischen Musikpolizisten 26 und einer ebenfalls judenfeindlichen Nazi-Literatin 27 aus dem Sauerland verwiesen. Der zweite Weißwaschgang der Entnazifizierung in Eigenregie zeitigte fast immer erstaunliche Ergebnisse.

Für seinen Großvater kann Friedrich Merz nicht sprechen oder gar haften. Aber er kann unzweideutig feststellen, dass dieser in seinem öffentlichen Wirken kein Vorbild war, sondern ein abstoßendes Beispiel der Kollaboration mit der menschenfeindlichen, sodann massenmörderischen Rechten geboten hat – ein Mann also, in dessen politische Fußstapfen kein Briloner je wieder treten darf.

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14 Das Volksfest der nationalen Arbeit in Brilon. In: Sauerländer Zeitung (Unsere Sauerländische Heimat), Brilon den 3. Mai 1933. [Volltextdokumentation erfasst von Peter Bürger; nach einem Scan der Zeitungsseite aus dem Stadtarchiv Brilon.
https://www.schiebener.net/wordpress/hitler-sein-tatgewordener-aufbauwille-sie-leben-hoch-hoch-hoch/ ]
15 Patrik Schwarz: Merz‘ Großvater SA- und NSDAP-Mitglied. In: taz, 22.01.2004. https://taz.de/!803355/
16 Ottilie Knepper-Babilon / Hanneli Kaiser-Löffler: Widerstand gegen die Nationalsozialisten im Sauerland. (= Hochsauerland Schriftenreihe Band IV). Brilon: Podszun 2003. (Kapitel zum Altkreis Brilon.)
17 Vgl. zu ihm Ulrich Wagner: Glaubenszeugnis und Widerstand. Pfarrer Wilhelm Ochse (1878-1969). Siegen: Vorländer 1990. – Im Netz auch: https://www.vielfalt-mediathek.de/data/hellwig_raimund__siegen_unter_dem_hakenkreuz.pdf
18 Sigrid Blömeke: Nur Feiglinge weichen zurück. Josef Rüther (1881-1972). Eine biographische Studie zur Geschichte des Linkskatholizismus. Brilon 1992.
19 Vgl. zum ihm auch den Sonderband „daunlots“ Nr. 61 (mit Abbildung eines drastischen Drohbriefes):
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2061.pdf
20 Vgl. Ottilie Knepper-Babilon / Hanneli Kaiser-Löffler: Widerstand gegen die Nationalsozialisten im Sauerland. Brilon 2003, S. 118-119, 135-137.
21 Knappe Übersicht zu ihm: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Schramm_(Verwaltungsjurist)
22 „Brilon, den 2. Juli 1937. Bürgermeister Sauvigny nahm Abschied“. In: Sauerländer Zeitung (Brilon), 02.07.1937. [Volltextdokumentation erfasst von Peter Bürger; nach einem Scan der Zeitungsseite aus dem Stadtarchiv Brilon.
https://www.schiebener.net/wordpress/hitler-sein-tatgewordener-aufbauwille-sie-leben-hoch-hoch-hoch/ ]
23 Patrik Schwarz: Merz‘ Großvater SA- und NSDAP-Mitglied. In: taz, 22.01.2004. https://taz.de/!803355/
24 https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Paul_Sauvigny (Abruf zuletzt 11.01.2021).
25 Pascal Beucker: Der Vormerz. In: Jungle World, 28.01.2004. https://jungle.world/artikel/2004/05/der-vormerz
26 Georg Nellius (1891-1952). Völkisches und nationalsozialistisches Kulturschaffen, antisemitische Musikpolitik, Entnazifizierung. – Darstellung und Dokumentation im Rahmen der aktuellen Straßennamendebatte. Vorgelegt von Peter Bürger und Werner Neuhaus in Zusammenarbeit mit Michael Gosmann / Stadtarchiv Arnsberg. (= daunlots. internetbeiträge des christine-koch-mundartarchivs am museum eslohe. nr. 69). Eslohe 2014. – Im Internet auch: https://www.heise.de/tp/features/Juden-und-Thomas-Mann-Todfeind-3502577.html
27 Josefa Berens-Totenohl (1891-1969), nationalsozialistische Erfolgsautorin aus dem Sauerland. – Forschungsbeiträge von Peter Bürger, Reinhard Kiefer, Monika Löcken, Ortrun Niethammer, Ulrich Friedrich Opfermann und Friedrich Schroeder. Herausgegeben vom Christine Koch-Mundartarchiv in Zusammenarbeit mit dem Kreisheimatbund Olpe. (= daunlots. internetbeiträge des christine-koch-mundartarchivs am museum eslohe. nr. 70). Eslohe 2014. http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2070.pdf

Filed under: Andere ParteienComments Off on „Der Opa von Friedrich Merz“ (Teil 2 von 2)

„Der Opa von Friedrich Merz“ (Teil 1 von 2)

By admin at 12:52 pm on Thursday, January 14, 2021

Über den Briloner Bürgermeister Josef Paul Sauvigny (1875-1967), die „Einigung alles deutschen Blutes“ 1933 und ein Vorläuferkapitel der CDU-Parteigeschichte

Von Peter Bürger
(11.01.2021)

Brilon,_alter_Friedhof,_Grab_für_den_ehemaligen_Bürgermeister_Josef_Sauvigny-2
Bildquelle (Ausschnitt):
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brilon,_alter_Friedhof,_Grab_f%C3%BCr_den_ehemaligen_B%C3%BCrgermeister_Josef_Sauvigny.JPG

Der Sauerländer Friedrich Merz hat (womöglich gleichermaßen als „Wunschkandidat“ von oppositionellen Linken wie auch der Nationalgesonnenen in der CDU) gute Chancen, nächster Vorsitzender der christdemokratischen Partei zu werden oder – wenn die Grünen der Gründergeneration vollständig von der Bildfläche verschwunden sind – sogar Bundeskanzler.

Vor nunmehr siebzehn Jahren gab es eine öffentliche Debatte, weil Merz seinen „rechtskatholischen“ Großvater Josef Paul Sauvigny (Briloner Bürgermeister bis 1937) als bewundernswertes Vorbild bezeichnete und dabei nicht nur aus meiner Sicht sein ignorantes Geschichtsverständnis regelrecht zur Schau stellte. Er musste etwas zurückrudern, nachdem kritische Journalisten (u.a. taz, Die Zeit) einschlägige Zeitungsquellen1 (1933/1937) und die Entnazifizierungsakte des gerühmten Ahnen gesichtet hatten.2

Viele Millionen Deutsche haben Großväter, die den Nazis zu Diensten standen. Das ist kein persönlicher Makel.
Entscheidend bleibt allein die 2004 von Patrik Schwarz gestellte Frage, wie man sich persönlich zu diesen Vorfahren stellt. Der vorliegende Beitrag soll – quellenbasiert – aufzeigen, warum vom möglicherweise nächsten Vorsitzenden der CDU heute eine unmissverständliche Klarstellung erwartet werden muss, die über eine Relativierung von tradierten Familienlegenden deutlich hinausgeht: Der Großvater war nicht nur „kein Vorbild“, sondern bot mit seinem Verhalten als Politiker eines der abstoßenden Beispiele in einem dunklen Vorläuferkapitel der CDU-Parteigeschichte.

Licht und Schatten einer katholischen Landschaft

Unter den Emails des katholischen Schriftleiters einer Heimatzeitschrift des Sauerlandes finde ich stets den Satz: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“ Gesagt hat das im Parlament am 25. Juni 1922 der linkskatholische Reichskanzler Josef Wirth, Mitglied der CDU-Vorläuferpartei Zentrum, nach der Ermordung des Demokraten Walter Rathenau.

Die Minderheit jener Christenmenschen, die ab 1933 ob ihrer beharrlichen Weigerung einer Zusammenarbeit mit den Faschisten verfolgt oder gar ermordet worden sind, trat im katholischen Teil des Sauerlandes eindeutig stärker in Erscheinung als in den protestantisch geprägten Nachbarlandschaften. Zu diesen katholischen Pazifisten, Kapitalismuskritikern oder Zentrumsleuten habe ich die Bücher „Sauerländische Friedensboten“ 3 und „Sauerländische Lebenszeugen“ 4 (versehen mit dem Geleitwort eines christdemokratischen Regierungspräsidenten) herausgegeben.

Doch diese Vorbilder bildeten eben nur einen denkbar kleinen Kreis, während sich die Mehrheit der Leute dem Kurs des III. Reiches fügte oder alsbald mit den Wölfen heulte. Auch im Sauerland weiß das verbliebene schwarze Heimat-Selbstlobkollektiv aufgrund der Verdrängungsgeschichte nur wenig von den Schatten der katholischen Zentrumspartei:

Aus Südwestfalen kamen eben nicht nur ehrenwerte „katholische Antifaschisten“, sondern gleichermaßen Hitlers Steigbügelhalter Franz von Papen vom rechten Zentrumsrand (Werl), die beiden früh zu den Deutschnationalen und dann zur NSDAP übergelaufenen Politikerbrüder Ferdinand 5 und Hermann 6 von Lüninck (aus Ostwig nahe Brilon) und der berüchtigte katholische Staats-Unrechtler Carl Schmitt (NSDAP-Eintritt 1.5.1933) aus Plettenberg, der sich im Altkreis Brilon mit Gleichgesinnten 7 traf.

In der sozialdemokratischen Zeitschrift „Der wahre Jakob“ war 1932 zu lesen: „Der Nationalsozialismus (siehe Hitler ‚Mein Kampf‘) wünscht Krieg gegen Russland, Krieg gegen Frankreich und Krieg gegen die Randstaaten. – Nun, das wird kein Krieg, sondern eine Jagd. – Aber Sie, Herr von Papen, wird man dann fragen, wer die Bestie aus dem Käfig gelassen!“8 So klarsichtig urteilten zu diesem Zeitpunkt auch noch viele Zentrumspolitiker.

Unmittelbar nach ihrer Machtübernahme hatten die erklärten braunen Weltbrandstifter in katholischen Landschaften wie dem kölnischen Sauerland ein Problem – namentlich in der Kommunalpolitik. An vielen Orten gab es Anfang 1933 noch nicht einmal eine „Zelle“ der NSDAP. Man musste zunächst NS-Staatsdiener vor Ort aus dem vorhandenen Personal rekrutieren und fand erstaunlich viele Wendehälse, die sofort zur Kollaboration bereit waren.

Einige wenige Beispiele9 seien angeführt: Am 12.4.1933 erklärt Heinrich Feldmann im Kreistag des Kreises Meschede, die gesamte Zentrumsfraktion stelle sich geschlossen hinter die „nationale Regierung“ und sei bereit zur Mitarbeit „mit allen ihr zu Gebote stehenden Kräften“. Ähnlich bekundet der Arnsberger Stadtverordnete Rörig am 25.4.1933: „Für uns Zentrumsleute ist es eine Selbstverständlichkeit, der jetzt gegebenen Ordnung zu dienen.“

Der Arnsberger Propstdechant Joseph Bömer 10 (1881-1942), als Priester einer der couragiertesten Zentrumspolitiker im Sauerland und bis zum Tod ein kompromissloser Gegner des Hakenkreuzes, hatte sich 1932 als Kreisvorsitzender seiner Partei für den aus Attendorn stammenden Zentrumsmann Rudolf Isphording als neuen Bürgermeister eingesetzt und musste 1933 mit Bitterkeit feststellen, wie schnell dieser über Nacht zu einem Anhänger der Nazis geworden war (und nun braune Parolen von sich gab).

Der vormalige Letmather Zentrums-Bürgermeister Franz Pöggeler fungierte von 1933 bis zu seinem Tod im Jahr 1942 als Bürgermeister von Rüthen (1971-1975 Schulort von Friedrich Merz) und wurde postum noch 1977 durch eine Pöggeler-Straße geehrt. Nach den Forschungen von Dr. Hans-Günther Bracht kommt man nicht umhin, Pöggeler eine erschreckende Mitwirkung am nationalsozialistischen Verfolgungssystem zu bescheinigen.11

Der Briloner Bürgermeister Josef Paul Sauvigny

Zu diesem Kreis von Personen, die Zentrumspartei wie Demokratie verrieten und sich 1933 der Macht verkauften, gehörte nach Ausweis der bislang bekannten Quellen der Großvater von Friedrich Merz. Josef Paul Sauvigny (1875-1967) stammte aus einer Gutsbesitzerfamilie, von der fünf Söhne am „sinnlosen Gemetzel“ (Papst Benedikt XV.) des 1. Weltkrieges teilgenommen hatten. Der studierte Jurist (Rechtsanwalt ab 1912) verlegte sich alsbald auf die Politik (1915 zweiter, 1916 erster Beigeordneter in Brilon) und amtierte in seiner Heimatstadt ab dem 17.11.1917 als Bürgermeister: Er „ist königstreuer Gesinnung und gehört politisch der Centrumspartei an“12.
Dr. Ottilie Knepper Babilon ordnet den 1929 wiedergewählten Bürgermeister für die Jahre 1925-1933 einer kommunalpolitischen Listen-Konstruktion zu, welche die Interessen des „gehobenen“ bzw. besitzenden Bürgertums vertrat und sich in der Folgezeit als „politisch sehr anpassungsfähig“ erwies.13 Dazu zählte etwa Dr. Josef Gerlach, der 1933 auf Kreisebene für die bürgerliche Interessensgruppe und vor Ort für das den „kleinen Leuten“ zugewandte Zentrum kandidierte, in der NS-Zeit dann eine Karriere als Kreiswirtschaftsberater machte – zuständig u.a. für das als „Arisierung“ bezeichnete Raubunternehmen.

Fortsetzung folgt

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1 Vgl. erst jetzt ohne Kürzungen: „Hitler, sein tatgewordener Aufbauwille, sie leben hoch, hoch, hoch!“ Textdokumentation: Wie sich 1933 in Brilon unter Propagandaworten des katholischen Bürgermeisters die sogenannte „Volksgemeinschaft“ formierte. Blogbeitrag, 08.01.2021. https://www.schiebener.net/wordpress/hitler-sein-tatgewordener-aufbauwille-sie-lebenhoch- hoch-hoch/
2 Vgl. Martin Teigeler: Merz bejubelt rechten Großvater. In: taz, 16.01.2004. https://taz.de/Merz-bejubelt-rechten-Grossvater/!806584/ / Patrik Schwarz: Der seltsame Stolz des Friedrich Merz. In: taz, 19.01.2004. https://taz.de/!805458/ /
Toralf Staud: „Opa war okay“. In: Zeit Online, 22.01.2004. https://www.zeit.de/2004/05/Glosse_Seite_2 / Patrik Schwarz: Merz‘ Großvater SA- und NSDAP-Mitglied. In: taz, 22.01.2004. https://taz.de/!803355/ / PAT: Friedrich Merz verteidigt Großvaters Ehre. In: taz, 22.01.2004. https://taz.de/Friedrich-Merz-verteidigt-Grossvaters-Ehre/!803973/ / Pascal Beucker: Der Vormerz. In: Jungle World, 28.01.2004. https://jungle.world/artikel/2004/05/der-vormerz
3 P. Bürger: Sauerländische Friedensboten. (=Friedensarbeiter, Antifaschisten und Märtyrer des kurkölnischen Sauerlandes. Erster Band.) Norderstedt: BoD 2016. – Vorstellung: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/010277.html
4 P. Bürger: Sauerländische Lebenszeugen. (=Friedensarbeiter, Antifaschisten und Märtyrer des kurkölnischen Sauerlandes. Zweiter Band.) Norderstedt: BoD 2018. – Geleitwort im Netz: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/011357.html
5 Dieser Adelige später allerdings voller Reue; vgl. ein Kurzbiogramm:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_von_L%C3%BCninck_(Oberpr%C3%A4sident)
6 Vgl. ein Kurzbiogramm: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_L%C3%BCninck
7 „Siedlinghauser Kreis“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Siedlinghauser_Kreis).
8 Abgebildet im Netz auf dieser Seite: https://oskarstillich.de/2020/03/26/die-deutschen-aus-unbekannter-sicht/
9 Nachweise u.a. im Buch P. Bürger: Friedenslandschaft Sauerland. Antimilitarismus und Pazifismus in einer katholischen Region. Norderstedt: BoD 2016. Dazu ein Internetdossier: http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2077.pdf
10 Vgl. zu ihm auch meinen Aufsatz in „daunlots nr. 78“, S. 167-176: http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2078.pdf
11 Zuerst Hans-Günther Bracht: Zur Problematik von Straßenbenennungen. Dargestellt am Beispiel der Pöggelerstraße in Rüthen. In: Heimatblätter – Beilage zum „Patriot“ und zur Geseker Zeitung 95. Jg. (Lippstadt 2015), Folge 4, S. 25-32. Kurzbericht dazu: https://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-soest-lippstadt-moehnesee-und-ruethen/anwohnerwuenschen-umbenennung-der-poeggelerstrasse-id10429216.html
12 Angabe nach O. Knepper-Babilon (Zitat nach: Stadtarchiv Brilon C 593). – Vgl. zu Savigny und seine Familie auch Alfred Bruns: Brilon 18-16-1918. Brilon: Weyers Verlag 1988. (s. Namenregister)
13 Ottilie Knepper-Babilon / Hanneli Kaiser-Löffler: Widerstand gegen die Nationalsozialisten im Sauerland. (= Hochsauerland Schriftenreihe Band IV). Brilon: Podszun 2003, S. 104-105, 114-115.

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HSK: Frauen (ein bisschen) an die Macht

By admin at 5:09 pm on Thursday, September 17, 2020

Frauen im Kreistag
Der Kreistag des HSK wird mit Beginn der neuen Legislaturperiode, also ab 1. November 2020, etwas weiblicher. Die neue Quote liegt bei sage und schreibe 17 zu 37, also 31,5 % aller Kreistagsmitglieder sind weiblich.

Die bisherige absolute Mehrheitsfraktion, die CDU, besteht in naher Zukunft aus 8 Frauen und 18 Männern. Aktuell hat die CDU noch 28 Mandatsträger/innen, davon 4 Frauen. Immerhin, die CDU hat zwar nicht die Sitze aber die Frauen verdoppelt. Respekt!

Bei der SPD sieht`s für die Frauen eindeutig (noch viel) besser aus: 5 Frauen, 7 Männer. Derzeit verteilen sich die 14 Mandate der SPD noch auf 2 Frauen und 12 Männer. Was das anbelangt, geht es bei der SPD nun steil nach oben. Nicht schlecht!

Die Grünen werden diesmal wieder ihrer Quotenregelung wieder gerecht: 4 Frauen, 3 Männer. Bisher waren/sind es eine Frau und 3 Männer. Das konnte ja nur besser werden. Also: Die Grünen sind was die Frauen anbelangt einsame „Spitze“!

Von nun an geht`s bergab.
FDP: 3 Männer (Es bleibt wie es war und zwar bei den schon genannten 3 Männern.)
DIE LINKE: 1 Mann (bisher 2 Männer)
SBL: 2 Männer (bisher 2 Männer)
PIRATEN: 0 (bisher bzw. bis zum Wechsel zur FDP 1 Mann)
AfD: 2 Männer (bisher 0)
FW: 1 Mann (bisher 0)

Frauen in der SBL
Bei der SBL ist aber damit nicht aller Tage Abend. Die Sauerländer Bürgerliste beabsichtigt, wieder viele Frauen als Sachkundige Bürgerinnen in die Fraktionsarbeit einzubeziehen, so wie bisher. In der noch laufenden “alten” Wahlperiode gehören 16 Sachkundiger Bürger*Innen zur SBL-Fraktion, davon 7 Frauen. Bei der nächsten Kreistagswahl, also in 5 Jahren, gelingt der SBL im Kreistag vielleicht das, was der BBL in Brilon jetzt schon gelungen ist? Dort sind beide neuen Ratsmitglieder weiblich, und 10 von 19 Kandida*Innen bei der Ratswahl. Frauen an die Macht! Versprochen, wir arbeiten dran.

Migrant/innen im Kreistag
Die Frauenquote ist ein Aspekt. Die Quote der Migrant/innen ein anderer. Von „Vielfalt Hochsauerland“ kann ja offenbar im neuen Kreistag keine Rede sein. Bis auf eine Ausnahme (und die findet sich in den Reihen der SPD) scheint es sich bei allen neuen und alten Mandatsträgerinnen und –trägern um „Ur-Deutsche“ zu handeln? Falls wir damit falsch liegen, bitte melden und korrigieren. Danke!

Dabei hat Dr. Ahmet Arslan, der Landratskandidat der SBL, mit 3,42 % ein wirklich gutes Ergebnis eingefahren.

Nicht nur wegen dieses Wahlerfolges möchte die SBL auch in der neuen Legislaturperiode mehr Vielfalt wagen! Wer dabei mitmachen will, bitte melden! Danke!

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Vertrag mit Maulkorb

By admin at 12:08 am on Monday, September 7, 2020

Heute fand in Brilon-Petersborn eine Versammlung mit ca. 40 Bürgerinnen und Bürgern statt, die ein Lehrstück lieferte, wie Kommunalpolitik im Sauerland aussehen kann. Es ging um das Bauvorhaben eines Briloner Architekten. Er möchte auf einem 6,5 ha großen Grundstück, das bisher im städtischen Eigentum steht, eine Siedlung errichten. Zu ihr sollen etwa 20 Häuser, die als Ferienhäuser bezeichnet werden, ein Hotel und eine Gastronomie mit knapp 600 Plätzen gehören. Jedes der Häuser mit 101 qm Wohnfläche soll für 354.000 Euro verkauft werden, plus Nebenkosten.

In diesem Vorhaben spielt auch der Hochsauerlandkreis eine Rolle, worüber wir z.B. hier berichtet haben. Insbesondere geht es darum, ob das Projekt auf dem städtischen Grundstück realisierbar ist, obwohl es sich um ein sehr artenreiches und gesetzlich geschütztes Biotop handelt, das vom zuständigen Landesamt für die Ausweisung als Naturschutzgebiet vorgeschlagen wurde. Der Naturschutzbeirat im HSK hat eine Ausnahmeregelung abgelehnt, aber Kreis- und Stadtverwaltung wollen sie trotzdem durchsetzen.

Zu den bereits bekannten Besonderheiten kamen heute einige weitere hinzu.
– Ein bemerkenswertes Ergebnis: Es gibt tatsächlich politisch motivierte “Maulkorb-Verträge”. Vermutet haben wir das ja schon immer, aber in der heutigen Versammlung hat das für den Ort zuständige CDU-Ratsmitglied darüber berichtet. Er ist dort auch Ortsvorsteher und sieht das Projekt kritisch, ebenso wie ein großer Teil der Einwohner dieses Ortsteils, aber anders als seine Ratsfraktion. Und er sollte – ebenso wie einige Nachbarn des vorgesehenen Baugrundstücks – einen Vertrag unterschreiben, in dem er sich verpflichten sollte, nur positiv über das Projekt zu reden und öffentliche Kritik zu unterlassen. Das unterschrieb er nicht.

Weitere Erkenntnisse aus der heutigen Versammlung:
– Für besondere Käufer gibt es besondere Grundstückskaufpreise. Der Architekt ist zufällig auch Mitglied des Briloner CDU-Vorstandes. Der Bodenrichtwert in diesem Ortsteil liegt bei 46 Euro je Quadratmeter. Doch in diesem Fall – wie heute erstmals öffentlich bekannt wurde – beträgt der Kaufpreis laut Vertrag bisher nur 11 Euro. Der muss nur dann gezahlt werden, wenn das Bauprojekt tatsächlich verwirklicht werden kann. Und nun soll der Kaufpreis auf Wunsch des Investors sogar auf 2,50 Euro sinken. Das scheint die Ratsmehrheit mit der GroKo aus Bürgermeister, CDU und SPD unterstützen zu wollen. Es würde einen “Rabatt” von etwa 2,8 Mio Euro bedeuten…

– Eine Alternativfläche für dieses Projekt wurde laut Bürgermeister angeblich bereits seit vielen Jahren von der Bezirksregierung abgelehnt. Dabei hat die Bezirksregierung noch 2018 bei der Stadt angemahnt, dass die Stadt genau diese Alternativfläche auf ihre Eignung untersuchen solle. Das Alternativgrundstück befindet sich allerdings im Privateigentum. Zwar ist der Eigentümer bereit das Projekt zu unterstützen, aber der Kaufpreis wäre vielleicht etwas realitätsnäher als für die städtische Fläche?

– Der derzeitige Briloner Bürgermeister scheint eine selektive Erinnerung an Ratsbeschlüsse zu haben. Er argumentierte heute wiederholt damit, er habe im Jahr 2015 vom Rat ohne Gegenstimme und mit nur einer Enthaltung den Auftrag erhalten, eine Flächennutzungsplanänderung für dieses Projekt herbeizuführen. Einen solchen Beschluss gab es am 29.04.2015 tatsächlich, aber damals war dem Rat noch nichts vom Biotop bekannt, und das Projekt war anders beschrieben als jetzt. Die Stadtverwaltung hätte mehr über das Grundstück wissen müssen, hatte den Rat aber nicht darüber informiert. Als dann klar war, um was für ein wertvolles Areal es sich handelt, gab es im Rat mehrfach Anträge der Bürgerliste, die Ausweisung als Naturschutzgebiet zu veranlassen. Diese Anträge wurden von der Ratsmehrheit – auf Vorschlag des Bürgermeisters – abgelehnt. Das erwähnt der Bürgermeister nicht…

– Von den zu der Versammlung eingeladenen Bürgermeisterkandidaten von CDU und SPD war nicht zu erfahren, wie sie selbst zu diesem ungewöhnlichen Projekt stehen. Sie verschanzten sich hinter der Aussage, dass die Fachbehörden entscheiden sollten, ob das Biotop trotz des Bauvorhabens erhalten werden kann. Warum trauen sich die Kandidaten der beiden größten Ratsfraktionen nicht, als Politiker selbst eine klare Meinung zu formulieren? Die Bürgermeisterkandidatin der Bürgerliste machte deutlich, dass für sie das Bauvorhaben auf der Biotop-Fläche nicht in Frage kommt.

– Als besonderen Nutzen für den Ortsteil Gudenhagen-Petersborn nannte der derzeitige Briloner Bürgermeister, dass durch das Projekt ein Einkaufsladen geschaffen würde, den auch die Einwohner nutzen könnten.
Ob das Sinn macht, wegen eines kleinen Kiosks eine solche Anlage in einem gesetzlich geschützten Biotop zu bauen? Das klingt so, als ob jemand neben einem kleinen Bahnhof ein Stadion bauen würde, damit es dann eine WC-Anlage für die Bahnreisenden gibt… Da gibt es sicherlich geeignetere Wege für die Einrichtung eines Dorfladens!

– Sogar eine völlig abstruse Idee dient der GroKo als Argument, das Vorhaben auf dem Wunschgrundstück doch noch verwirklichen zu können. Der Investor hat angekündigt, den Oberboden des Biotops in Form von großen Soden abtragen und auf einer anderen Fläche wieder aufbringen zu wollen. Bei der Ursprungsfläche handelt es sich aber um eine sehr feuchte Nordhanglage. Der neue Ort dient bisher als Weihnachtsbaumkultur, ist sehr trocken, Südhang, mit vielen Winden, und etwa 100 Meter höher gelegen. Niemand kennt ein konkretes Beispiel, wo unter solchen Bedingungen eine Sodenverpflanzung funktioniert hätte. Trotzdem wird dies von der GroKo immer noch als taugliches Mittel für den Erhalt des Biotops dargestellt…

– Viele Bürgerinnen und Bürger im Ort lehnen das Projekt ab. Mittlerweile wurde ein Naturschutzverein gegründet. Der entwickelt eigene Ideen für den Erhalt und die Nutzung des Biotops. Und er wirbt dafür: https://www.facebook.com/Naturschutzgebiet-Gudenhagen-Petersborn-100420875080636. Gut, wenn sich Bürger*innen gegen solche Entwicklungen wehren!!

Durch solche Veranstaltungen wächst die Einsicht, dass eine Stärkung der bisherigen Oppositionsfraktionen in unseren Kommunalparlamenten dringend erforderlich ist!

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SPD – wofür steht sie?

By admin at 8:22 am on Saturday, September 5, 2020

Schon seit Jahren versucht der eine oder die andere politisch Interessierte, bei der SPD im HSK so etwas wie ein eigenes inhaltliches Profil zu entdecken – vergeblich. Nun hätte man ja erwarten können, dass in einer Kreistagssitzung, die etwa eine Woche vor einer Kommunalwahl stattfindet, so etwas erkennbar wird. Doch auch diese Hoffnung war gestern vergeblich.

Dabei gabe es in der gestrigen Sitzung des Kreistags der HSK reichlich Themen, die sich für eine Positioniernug der SPD angeboten hätten. Einige Beispiele:

1. Der Flughafen Paderborn/Lippstadt.
3 der 6 anderen kommunalen Gesellschafter haben den Ausstieg schon beschlossen, darunter am Tag vor der Kreistagssitzung der Rat der kreisfreien Stadt Bielefeld auf Vorschlag des dortigen SPD-Bürgermeisters; die SBL hatte beantragt, diesen zu übernehmen. Und die SPD fordert auch überregional einschneidende Veränderungen bei diesem Flughafen.
Doch im HSK? Kein eigener Antrag der SPD, kein Protest gegen das Verlangen von Landrat und CDU, die Entscheidung bis nach der Kommunalwahl zu verschieben…

2. Die Rückstellungen für Pensionen und Beihilfen.
Es ging um den Jahresabschluss 2019 des HSK. Der Landrat hatte sich mit den Rückstellungen völlig verkalkuliert: Eingeplant waren 3,3 Mio Euro, eingestellt werden mussten 10,8 Mio Euro, also 7,5 Mio Euro. Das belastet das Jahresergebnis des Kreises. Die 12 kreisangehörigen Städte und Kommunen müssen das finanzieren, mit fast 30 Euro je Einwohner zusätzlich. Die SBL hatte beantragt, endlich mal nach den Gründen für diese Fehlplanung einer wesentlichen Haushaltsposition zu schauen. Die Zusatzversorgungskasse hatte mitgeteilt, dass der Kreis Besoldungserhöhungen und personelle Veränderungen hätte mit einplanen müssen, was er nicht getan hat.
Bei der HSK-SPD gibt es jedoch keinerlei Interesse, dies aufzuklären und damit möglichen Fehlentwicklungen in der Zukunft vorzubeugen, damit die Kommunen eine tragfähige Planungsgrundlage haben. Kein eigener inhaltlicher Beitrag der SPD zu diesem Thema.

3. Die Pflegebedarfsplanung.
Landrat und Kreisverwaltung haben mit unrealistischen Annahmen geplant. Danach sollen angeblich die Zahl der über 80jährigen Einwohner*innen bis 2030 zurück gehen und der Anteil der Pflegebedürftigen sinken. Als Ergebnis werden zu wenig stationäre Pflegeplätze vorgehalten. Und zu den dringend benötigten weiteren Kurzzeitpflegeplätzen wird nur festgestellt, dass es in einigen Orten Bedarf gibt. Konkrete Maßnahmen: keine. Inhaltliche Beiträge der SPD: Auch keine.

4. Das Integrationskonzept.
Die Vorlage der Kreisverwaltung enthält viele gute Ansätze. Aber der Kreistag müsste darauf dringen, dass es mehr Sicherheit für die Arbeitgeber über die perspektive gibt, wenn sie jungen Zugewanderten einen Ausbildungsplatz zusagen. Und dass Zugewanderte auch Arbeitsplätze ausserhalb des Kreisgebiets annehmen dürfen. Und konkrete Schritte für Vereinfachungen in den Verfahren für die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse eingeleitet werden.
Einziger Beitrag der SPD: Ein Hinweis auf persönliche Beziehungen… Das ist nicht die Lösung!

5. Vergabe der Restabfallbehandlung ab 2023.
Diese Vergabe erfolgte tatsächlich schon im Jahre 2020. Über die Anzahl der Anbieter und die Preisentwicklung gäbe es viel zu berichten. Aber das geht hier leider nicht, da dieser Tagesordnungspunkt nicht-öffentlich behandelt wurde. Und was macht die SPD? Auch das können wir hier leider nicht berichten…

Die Ausnahme.
Einen (!) eigenen Antrag der SPD gab es doch: Der HSK soll einen einzigen mobilen Entrindungszug selbst anschaffen, für die Bekämpfung der Borkenkäferplage! Dieser Antrag wurde in einen Ausschuss überwiesen. Über den Sinn der Maßnahme in einem Kreis mit 1.960 km2 und mehreren Mio Euro Kosten für einen solchen Zug kann man streiten…
Das war es inhaltlich mit der SPD in dieser Sitzung.
Etwas sehr wenig! Vielleicht sollte sich die SPD auch in ihrer Wahlwerbung noch mehr an die CDU anlehnen?

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Wofür steht der FDP-Kreisvorsitzende im HSK?

By admin at 5:50 pm on Friday, February 7, 2020

Vor zwei Tagen, am 5. Februar, hat der Thüringer Landtag den Präsidenten der Erfurter Carnelvals-Gesellschaft zum neuen Ministerpräsidenten (MP) gewählt. Er erhielt 45 Stimmen, sein seit 5 Jahren amtierender Amtsvorgänger Bodo Ramelow erhielt 44 Stimmen. Die Partei des neuen MP, die FDP, hatte zuvor mit 5,0066 % am 27.10.2019 nur äußerst knapp den Wiedereinzug in den Landtag geschafft und hat dort jetzt 5 von 90 Sitzen. Herr Kemmerich trat erst zum dritten Wahlgang an (in dem die einfache Mehrheit ausreicht). Er ist außerdem noch Inhaber einer Friseurladen-Kette mit 20 Geschäften.

Die Wahl kam offensichtlich nur dadurch zustande, dass die AfD-Fraktion (22 Sitze) seit November 2019 mit der CDU-Fraktion (21 Sitze) und mit der FDP-Fraktion Vorbereitungen getroffen hatte und für ihren eigenen Kandidaten im 3. Wahlgang keine einzige Stimme mehr abgab. Die Thüringer AfD mit ihrem Vorsitzenden Höcke (“Flügel”) steht zudem besonders weit rechts außen.

Der Karnevals-Präsident hatte weder Kandidaten für ein Kabinett noch hätte er ohne die AfD-Stimmen im Landtag regieren können. Unmittelbar nach seiner Wahl wurde im Landtag in Erfurt bereits ein Antrag gemeinsam von AfD, CDU und AfD beschlossen.

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Diese MP-Wahl stieß wegen der Kollaboration mit der AfD sogar in den Berliner Parteizentralen von CDU und FDP auf massive Kritik. Aus der CDU äußerten z.B. die Bundesvorsitzende, die Bundeskanzlerin, der Generalsekretär (bezeichnete die AfD als Nazis) und der Bundeswirtschaftsminister ihre Ablehnung ungwewohnt deutlich, ebenso wie der Parteivorsitzende der CSU. Die Bundesvorsitzenden von CDU und FDP fuhren prompt am Tag nach der Wahl nach Erfurt, um mit ihren ParteikollegInnen vor Ort zu “reden”. Das führte u.a. dazu, dass Herr Kemmerich nur 25 Stunden nach seiner Wahl seinen Rückzug ankündigte (aber noch nicht vollzog). Er gestand ein, dass seine Kandidatur und die Annahme der Wahl Fehler waren. In Erfurt gingen derweil tausende Demonstranten gegen die drohende Abhängigkeit der Landespolitik von Faschisten auf die Straße.
Dem Kurzzeit-Ministerpräsidenten winkt übrigens für seine herausfordernde Tätigkeit eine Vergütung von mindestens 93.000 Euro, wie heute auf der Titelseite der “Thüringer Allgemeine” nachzulesen war.

Was aber geschah im HSK?
Hier postete der FDP-Kreisvorsitzende, der auch dem Bundestag angehört, öffentlich einen Glückwunsch besonderer Art:
“Sensationell! Unser Freund @thomasl.kemmerich ist neuer Ministerpräsident des Freistaats Thüringen. Herzlichen Glückwunsch, Thomas. Das war ein mutiger und wichtiger Schritt. Ich wünsche dir für die anstehenden Verhandlungen viel Kraft und liberale Zuversicht.” Dazu ein gemeinsames Foto.

Das bedeutet im Klartext, dass der FDP-Kreisvorsitzende diese besondere Form der Zusammenarbeit mit der AfD und der Abhängigkeit von der AfD bejubelt. Haben wir nach der Kommunalwahl im September 2020 eine ähnliche Zusammenarbeit als angeblich “mutigen und wichtigen Schritt” der HSK-FDP mit der AfD auch im HSK zu erwarten (falls sich dazu eine Gelegenheit ergeben sollte)???
Der FDP-Kreisverband im HSK sollte schleunigst klarstellen, wofür er und sein Vorsitzender stehen!

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Ist der Feuerwehrverband AfD-nah?

By admin at 12:08 am on Thursday, November 14, 2019

Das “Redaktionsnetzwerk Deutschland” berichtet heute über einen Machtkampf im Deutschen Feuerwehrverband (DFV). Fünf von sieben Vizepräsidenten haben den DFV-Präsidenten Ziebs aufgefordert, sein Amt aufzugeben.
https://www.rnd.de/politik/afd-streit-im-feuerwehr-verband-rucktritt-von-prasident-ziebs-gefordert-45I55MZTYVHW3FWA4W6KOTWU7I.html

Nach RND-Informationen ist ein Grund der Streit über den Umgang mit AfD-Sympathisanten in den Reihen der rund 1,3 Millionen deutschen Feuerwehrleute. Der noch amtierende Prösident hatte sich wiederholt dafür ausgesprochen, keine Nähe zur AfD zu dulden. Auch die Einstellung einer Frau mit Migrationshintergrund als Bundesgeschäftsführerin wird kritisiert.

Ziebs erklärte dazu gegenüber dem RND: “Vorwürfe zur Einstellung einer Frau mit türkischen Wurzeln als Bundesgeschäftsführerin, meine klare Haltung gegen rechtsnationale Tendenzen und Personalentscheidungen im Rahmen meiner Befugnisse sind absolut haltlos. Zurzeit ist für mich nicht erkennbar, warum ich zurücktreten sollte“.

Daraus ergibt sich die Frage an die Feuerwehren im HSK: Wie stellen sie sich zur Personalie ihres Präsidenten und zur offensichtlichen AfD-Nähe der Mehrheit der DFV-Vizepräsidenten? Hier sollte eine Klärung erfolgen!

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Politische Schizophrenie?

By admin at 7:04 pm on Saturday, June 22, 2019

Weiss die CDU wirklich noch, was sie will?

Im Kreistag hat die CDU am 6. Juni 2019 den Antrag gestellt, die Reaktivierung der Röhrtalbahn (Neheim-Hüsten – Sundern) zu stoppen. Wir haben in den letzten Tagen mehrfach darüber berichtet.

Im NRW-Landtag sitzt aus dem HSK auch der Kreisvorsitzende der HSK-CDU. Er ist sogar Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion. Diese Fraktion hat am 18. Juni 2019 (zusammen mit der FDP) einen Antrag mit dem Titel “Mit der Reaktivierung von Schienenstrecken in Nordrhein-Westfalen Lücken im Bahnnetz schließen und systembruchfreies Fahren für die Menschen ermöglichen” eingebracht. Er ist in der Landtagsdrucksache 17/6592veröffentlicht. Darunter steht auch der Name des CDU-Keisvorsitzenden Kerkhoff. Nicht nur der Titel dieses Antrags klingt gut, auch im Antragstext stehen bemerkenswerte Sätze, z.B.:
“Viele Menschen profitieren in Nordrhein-Westfalen von einem dicht ausgebauten Schienennetz. Um die Straßen zu entlasten und die Attraktivität des ÖPNV sowie des SPNV in städtischen und ländlichen Räumen zu erhöhen und damit auch überhitzte Wohnungsmärkte mit dem Umland der Metropolen zu vernetzen, ist es erklärtes Ziel der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen, den Verkehrsträger Schiene weiter zu stärken.”
“Ein wichtiger Baustein zur Stärkung des SPNV ist auch die Reaktivierung von stillgelegten Schienenstrecken und Haltepunkten.”
“Das Potential für SPNV-Reaktivierungen ist in allen Landesteilen groß.”

Das ist alles richtig. Aber warum meint dann die CDU, dass es im HSK nicht gelten soll???

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Ist die SPD noch zu retten?

By admin at 11:35 pm on Sunday, June 2, 2019

Diese Frage stellt sich nicht nur beim Führungspersonal auf Bundesebene, sondern auch im HSK.

Denn beim Versuch einer Wahlanalyse der Ergebnisse der Europawahl vom 26. Mai fallen – wie sonst im Land – die extremen Verluste der SPD auf.

Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Brilon. Im HSK sank der Stimmenanteil der SPD gegenüber der letzten Europawahl 2014 um 10,4 Prozentpunkte, in der Stadt Brilon um 15 Prozentpunkte von 31,2% auf 16,2%, hat sich also fast halbiert. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 betrug der Rückgang in Brilon 10,5 Prozentpunkte, gegenüber “nur” 5,6 Prozentpunkten auf Kreisebene.

Diese Entwicklung hat zum einen sicherlich bundespolitische Gründe. Die hier besonders hohen Verluste dürften aber auch auf lokale Ursachen zurückzuführen sein. Denn seit Anfang 2017 ist die SPD in Brilon nicht mehr als eigene Partei wahrnehmbar. Sowohl Ratsfraktion als auch Bürgermeister scheinen sich zum reinen Anhängsel der CDU entwickelt zu haben, bei inhaltlichen Entscheidungen im Rat und bei Personalentscheidungen. Ein eigenes Profil der SPD ist nicht mehr erkennbar – noch schlimmer als in der Bundesregierung.

Das wird besonders deutlich an:
– sozialen Themen (wie den viel zu geringen Höchstmieten für Sozialhilfeempfänger trotz gegenteiliger Rechtsprechung),
– beim Umgang mit Flüchtlingen (wie dem Einsatz ausgerechnet des Arbeitsvermittlers des Sozialamtes als Helfer bei der Abschiebung einer kranken Frau und zwei minderjähriger Kinder),
– in der Verkehrspolitik (Ablehnung von dringend notwendigen Korrekturen des Nahverkehrsplans),
– beim Notfallrettungsdienst (Akzeptanz der Reduzierung von 2 RTW auf 1 RTW in der Rettungswache Brilon),
– bei Bauleitplanungen (wo eine “Amigo”-Politik für Bebauungspläne und Gründstücksverkäufe vorzuherrschen scheint),
– beim Umweltschutz (z.B. der Verharmlosung des Einsatzes des Pflanzengiftes Gylphosat auf einem städtischen Spielplatz),
– an den sehr besorgniserregenden Entwicklungen mehrerer städtischer Unternehmen, nachdem dort fast nur noch GroKo-Mitglieder in den Gremien sitzen
– und beim Klimaschutz. So lehnte die SPD im Stadtrat den Antrag ab, für die städtischen Gebäude ein Klimaschutzkonzept aufzustellen, wie es sogar der HSK für seine Gebäude erstellt hat. Und auch zum Bezug von Strom für die Verwaltungsgebäude aus erneuerbaren Energien (Öko-Strom) war die SPD nicht bereit.

Es gibt viel Bedarf für Erneuerung. Wer führt die HSK-SPD auf diesen Weg, und zwar glaubwürdig?

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ktiver Einsatz für die Prinzipien einer meinungsoffenen, toleranten und vielfältigen Gesellschaft

By admin at 11:16 am on Thursday, February 14, 2019

Hier die Fortsetzung der Ansprache von LWL-Direktor Matthias Löb beim Neujahrsempfang der Stadt Arnsberg:

3. Bürgerschaftliches Engagement

Über den dritten Aspekt, auf den ich eingehen möchte, ist sicher schon häufiger auf Ihren Neujahrsempfängen gesprochen worden. Ich halte das bürgerschaftliche Engagement, das Ehrenamt für unverzichtbar und für konstitutiv für die Gesellschaft in Deutschland, vielleicht sogar mehr noch für die Städte und Dörfer hier bei Ihnen im Sauerland.

Eines meiner schönsten Ämter ist der Vorsitz beim Westfälischen Heimatbund, der Dachorganisation der Heimatvereine in Westfalen-Lippe. Darin sind etwa 130.000 Menschen organisiert, die sich ehrenamtlich für Kultur, für Umwelt und für die Menschen in ihrer Heimat, also in ihrem örtlichen Umfeld einsetzen. Wenn ich als Vorsitzender des WHB im Landesteil unterwegs bin, dann sehe ich überall tolle Beispiele für selbstloses ehrenamtliches Wirken von Menschen zum Wohle der Gesellschaft. Ich weise gerne darauf hin, dass es bspw. für den Erhalt von Denkmälern in Westfalen-Lippe nur etwa 200 Profis gibt, die sich darum kümmern, dass aber zehntausende von Menschen sich in Dörfern und Ortsteilen ehrenamtlich, in ihrer Freizeit, dafür einsetzen, dass ein Ackerbürgerhaus nicht abgerissen wird oder eine alte Pfarrei eine neue Nutzung erfährt.

Die Deutschen gelten ja schon dem Klischee nach als große „Vereinsmeier“. Und Zahlen bestätigen, wie sehr sich die Menschen dem ehren-amtlichen Engagement in ihrer Freizeit verschrieben haben. Allein in NRW engagieren sich über 6 Mio. Menschen unentgeltlich und freiwillig für das Gemeinwohl. Im Hochsauerlandkreis gibt es eine Vereinsdichte von 7 Vereinen pro 1.000 Einwohnern. Damit ist das Ehrenamt hier im Vergleich sehr gut aufgestellt. Ohne Bezahlung trainieren Ehrenämtler zum Beispiel Kinder in Sportvereinen, versorgen alte und kranke Menschen in Pflegeheimen und arbeiten als Feuerwehrleute oder in Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz mit. Heute Abend sind Viele anwesend, die sich ehrenamtlich für die Stadtgesellschaft hier in Arnsberg einsetzen. Wo wäre unsere Gesellschaft ohne Sie, ohne die Menschen, die sich um mehr kümmern als nur um sich selbst?

Ich bin überzeugt davon, dass wir einen enormen Hebel hätten, wenn wir das Ehrenamt noch stärker in den Blick nehmen und fördern würden. Darin liegt für mich auch eine Chance für die Entwicklung auf dem Land. Denn das Ehrenamt ist die große Stärke des sogenannten ländlichen Raums. Es sind engagierte Bürgerinnen und Bürger, die hier Bürgerbusse steuern, sich in der begleitenden Arbeit mit Jugendlichen einsetzen oder ihren eigenen Breitbandanschluss zum Dorf graben.

Für den LWL liegt der Fokus dabei vor allem auf der Unterstützung des Ehrenamtes in der Kultur. Zum Ersten deshalb, weil wir der größte Kulturträger in Westfalen-Lippe sind: mit 18 Museen, 6 Kulturdiensten (LMedZ, Bau- und Bodendenkmalpflege, Archivamt) und den landeskundlichen Kommissionen. Zum Zweiten, weil Kulturarbeit fernab der größeren Städte ohne das Ehrenamt schlichtweg an manchen Orten zum Erliegen käme. Und zum Dritten: weil Kultur eine besonders wichtige Funktion für den Zusammenhalt in der Gesellschaft hat. Denn mit ihren Angeboten fördert sie Kreativität, Empathie und Toleranz, sie regt zu kritischem Denken und zur Selbstreflexion an. Wir versuchen jetzt schon über unser Museumsamt, über die Freilichtbühnenförderung oder über Druckkostenzuschüsse dem Ehrenamt in der Kultur das Leben zu erleichtern. Wir sollten darüber hinaus in der Kulturarbeit des LWL, vielleicht aber auch als öffentliche Hand insgesamt, zukünftig all unsere Angebote noch stärker an dem orientieren, was zivilgesellschaftliche Akteure brauchen. Etwa durch das Ausräumen von bürokratischen Hürden, das Anbieten gezielter Fortbildungen oder durch die Unterstützung bei der Suche nach Fördermitteln.
Für mich ist der demografische Wandel in Westfalen-Lippe eine Riesenchance dafür, dass wir hier Gesellschaft neu denken, engagierte Menschen unterstützen und unerschlossene Potenziale des Ehrenamtes heben helfen.

Meine Damen und Herren,
jetzt habe ich mir aus dem bunten Strauß der vielen Faktoren, die zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen, drei herausgepickt. Solidarische Gesellschaft, Chancengerechtigkeit und bürgerschaftliches Engagement sind für mich solche verbindenden Elemente. Meine Auswahl hat sich auch daran orientiert, dass ich Ihnen hier und da zeigen wollte, wo wir als LWL unseren Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten. Als Kommunalverband übernehmen wir wichtige Aufgaben für die Menschen in Westfalen-Lippe. „Wir unternehmen Gutes“, so lautet unsere Losung, die wir nicht als leeren „PR-Spruch“ in der Außendarstellung vor uns hertragen, sondern die wir in unserer Arbeit täglich mit Leben füllen. Ich hoffe, dass ich Ihnen einen kleinen Eindruck dazu vermitteln konnte.

4. Toleranz und Vielfalt

Ich möchte aber gerne noch einen vierten Aspekt ansprechen, der mich nicht nur als Staatsbürger, sondern auch als Arbeitgeber mit Beschäftigten aus 60 Nationen umtreibt. Für den Zusammenhalt und die Zukunft unserer Gesellschaft halte ich es für unabdingbar, dass wir uns zu den Prinzipien einer meinungsoffenen, toleranten und vielfältigen Gesellschaft nicht nur verbal bekennen, sondern uns auch aktiv dafür einsetzen. Es geht dabei zum einen um die Frage, wie wir miteinander diskutieren – da darf ich auf die Neujahrsansprachen unseres Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin verweisen. Zum anderen natürlich auch um die Frage, wie wir mit Vielfalt umgehen. Dass wir sie nicht nur ertragen, sondern dass wir sie als Bereicherung unserer Gesellschaft verstehen und daraus die notwendigen Schlüsse ziehen.

Dazu einige persönliche Beobachtungen aus jüngerer Zeit mit kurzen Denkanstößen in Frageform:

– Über 25% der Menschen in NRW haben einen so genannten Migrationshintergrund. Über die Hälfte davon besitzen einen deutschen Pass, zum großen Teil deshalb, weil sie hier geboren sind. Wie fühlen sich diese 4,5 Mio. Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn sie fast täglich mit Wortpaaren wie Islam und Terror, Ausländer und kriminell oder Osteuropäer und Missbrauch von Sozialleistungen konfrontiert werden? Warum können wir nicht verstehen, dass ein hier geborener Mensch, dessen Vorfahren aus der Türkei kamen, keine Lust mehr hat auf die Frage zu antworten, ob er sich eher als Deutscher oder eher als Türke fühle? Wie kann es sein, dass der vereinzelte missbräuchliche Bezug von Kindergeld für Kinder im Ausland zu einer all-gemeinen politischen Debatte darüber führt, ob das Kindergeld im Ausland generell an den dortigen Lebensstandard angepasst werden müsste? Was löst das bei den vielen 100.000 polnischen Pflegekräften oder rumänischen Bauarbeitern aus, die ihren versicherungspflichtigen Arbeitslohn hier nach deutschem Recht versteuern?

– Wieso titelte die FAZ vor kurzem “2/3 aller Flüchtlinge beziehen Hartz IV”, obwohl die eigentliche Meldung auch der Befund des deutschen Arbeitgeberpräsidenten Ingo Kramer hätte sein können:
“Von mehr als 1 Million Menschen, die vor allem seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben heute bald 400.000 einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Ich bin selbst überrascht, dass das so schnell geht.”

In der gleichen Ausgabe der FAZ fand sich übrigens wenige Seiten weiter, versteckt unter der Rubrik “kurze Meldungen” folgendes Zitat des deutschen Handwerkspräsidenten Hans-Peter Wollseifer:
“Es gibt viele geduldete Asylbewerber, die bereits in Deutschland sind und hier arbeiten oder eine Ausbildung machen. Das sind dann genau die Facharbeiter, die wir brauchen, die gut integriert sind und deutsch sprechen. Und warum sollen wir die zurückschicken?”

– Sie alle haben die Berichterstattung über die Prügelattacken in Amberg verfolgt: Was bewirkt es im öffentlichen Diskurs, wenn dieser Einzelfall von vier jugendlichen, angetrunkenen Asylbewerbern ausführlich und immer wieder in der bundesweiten Medienberichterstattung besprochen wird, am Ende sogar mehr medialen Raum einnimmt als der Fall des Esseners, der vorsätzlich in Fußgängerzonen fremdländisch aussehende Menschen totfahren wollte? Wie kann es sein, dass einerseits der örtliche Bürgermeister und die Amberger Bürger sehr gelassen mit dem Vorfall umgehen, der Bundesinnenminister diesen Einzelfall aber zum Anlass nimmt, um öffentlich angeblich notwendige Gesetzesverschärfungen zu fordern, und zwar obwohl er genau weiß, dass dies rechtlich nicht möglich sein wird?

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich habe Ihnen diese zugespitzten Fragen zugemutet, weil ich befürchte, dass wir uns als Gesellschaft auf einen gefährlichen Pfad begeben, wenn wir 2019 so weitermachen wie 2018. Wenn wir zulassen, dass unsere Wahrnehmung verzerrt wird durch populistische Politik und eine Medienberichterstattung, die naturgemäß eher auf den Skandal im Einzelfall als auf die Normalität Bezug nimmt. Wenn wir nicht mehr hinterfragen, wer uns mit welchem Interesse und mit welchem Zungenschlag einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit präsentiert.

Lassen Sie es bitte nicht zu, dass das Gift des Rechtspopulismus zu wirken beginnt. Das Gift derjenigen, die glauben, dass Deutschlands Zukunft in einer vermeintlich besseren Vergangenheit und in einer abgeschotteten Gesellschaft liege. Deswegen ist es so wichtig, nicht über Gruppen wie “die Muslime” oder “die Flüchtlinge” zu reden, sondern dass wir erst einmal bereit sind, den einzelnen Menschen mit seinem Schicksal und seinen Hoffnungen zu sehen. Und wenn sich ein einzelner Mensch nicht an unsere Gesetze hält, dann ist das ein Grund, diesen zu bestrafen. Es ist aber kein Grund, ein Werturteil über andere Menschen zu treffen, nur weil sie den gleichen Glauben haben oder aus dem gleichen Land stammen.

In einem lesenswerten Spiegel-Interview warnt die Sprachforscherin Susan Benesch vor den Folgen „gefährlicher Sprache“:
“Wenn eine nur leicht gefährliche Sprache sozial akzeptabler wird, dann wird auch jene Sprache gebräuchlicher, die eine Stufe gefährlicher ist. Das ist wie eine Reihe von Dominosteinen: Wenn der eine fällt, kippt der nächste. Die Hürden zur Gewalt fallen schrittweise.”
Das hört sich so abstrakt an. Ich denke aber, dass Viele von Ihnen in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht haben, dass „man“ sich wieder „traut“, Witze zu erzählen oder einschlägige Bilder über WhatsApp zu schicken, die mit abwertenden Stereotypen gegenüber bestimmten Volksgruppen arbeiten. Sie sind das Einfallstor, um Zerrbilder, Vorurteile und eine weiter um sich greifende Verrohung der Sprache wieder salonfähig zu machen. Wir dürfen dazu auch im Bekanntenkreis nicht schweigen, sondern müssen klar Position beziehen!

Meine Damen und Herren,
mir ist bewusst, dass ich mich mit den letzten Ausführungen außerhalb meiner Kernkompetenzen bewegt habe. Aber ich meine, dass die ange-sprochenen Themen auch auf einen Neujahrsempfang der Stadt Arns-berg gehören, denn sie prägen unser Zusammenleben und wir wollen doch heute auch Schwung und gute Vorsätze für das kommende Jahr mitnehmen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien von Herzen ein frohes neues Jahr, Glück, Zufriedenheit und Gesundheit. Uns allen wünsche ich, dass wir uns als Gesellschaft 2019 stärker mit dem beschäftigen, was uns verbindet, als mit dem, was uns trennt.

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“Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich nach seinen Gaben entwickeln zu können.” (1)

By admin at 10:16 am on Monday, February 11, 2019

Zum Neujahrsempfang der Stadt Arnsberg hatte der Arnsberger Bürgermeister Ralf Bittner als Gastredner den LWL-Direktor Matthias Löb eingeladen. Seine Ansprache fand viel Beachtung. Wir dokumentieren hier – in zwei Teilen – das Manuskript von Herrn Löb.

“Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Ralf Bittner,
sehr geehrte Ehrengäste,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich bin dankbar und freue mich sehr, dass Herr Bürgermeister Bittner mich eingeladen hat, heute Abend zu Ihnen zu sprechen. Zunächst möchte ich mich vorstellen: Mein Name ist Matthias Löb und ich bin Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe – oder auch kurz: des LWL, einem Kommunalverband mit vielfältigen kulturellen und sozialen Aufgaben, die er für die Menschen in ganz Westfalen-Lippe erbringt. Im sozialen Bereich geht es vor allem um Hilfen für Menschen mit Behinderungen, um die psychiatrische Versorgung und um Jugendhilfe. Wir sind die drittgrößte Kommunalverwaltung in NRW, das mögen drei Zahlen verdeutlichen: 17.000 Beschäftigte, ein Kern-Haushalt von 3,6 Mrd. Euro und 200 Einrichtungen in Westfalen-Lippe, die durch uns selbst betrieben werden. Das sind vor allem psychiatrische Kliniken, Förderschulen, Museen und Jugendheime.

Wer all die Jahresrückblicke im Fernsehen von Jauch, Pilawa und Co. über das zu Ende gegangene Jahr 2018 gesehen hat, der hat noch einmal vor Augen geführt bekommen: Wir leben in bewegten Zeiten.
Viele harte Fakten deuten darauf hin, dass es uns so gut geht wie schon lange nicht mehr: Die Konjunktur brummt und die Auftragsbücher der Unternehmen sind prall gefüllt, auch bei der starken Wirtschaft hier in Südwestfalen. Die Steuereinnahmen der öffentlichen Kassen sind enorm gestiegen. Die Arbeitslosigkeit war bundesweit seit der Wiedervereinigung noch nie so niedrig.

Und dennoch ist eine gewisse Unruhe in der Gesellschaft zu spüren. Wir erleben, dass gesellschaftliche Konflikte zunehmen, dass politische Debatten auch destruktiv, zuweilen sogar mit Hass geführt werden. Man hat manchmal das Gefühl, dass unsere Gesellschaft auseinanderdriftet.

Am Anfang dieses neuen Jahres möchte ich jedoch nicht in den Mittelpunkt stellen, welche Fliehkräfte uns möglicherweise auseinandertreiben, sondern lieber einen positiven Blick auf das Verbindende in unserer Gesellschaft werfen.

Aber: Wenn ich über all das sprechen wollte, was es an äußeren und inneren Bedingungen für eine gelingende Gesellschaft braucht, dann müsste ich statt der vereinbarten 20 Minuten eher zwei Stunden lang sprechen. Das möchte ich Ihnen und mir nicht zumuten. Und deswegen werden Sie von mir heute nichts hören über das Privileg, in einem Land zu leben, das sich seit nunmehr über 70 Jahren im Frieden mit ehemals verfeindeten Nachbar-Staaten befindet, in einem Land, das nicht durch innere Unruhen erschüttert ist, in dem parlamentarisches System und die Gewaltenteilung funktionieren und das über eine unbestechliche und tüchtige Verwaltung verfügt. Sie werden auch nichts hören über Generationengerechtigkeit und über die Notwendigkeit zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den ökologischen Ressourcen unseres Planeten. Und schließlich ist auch klar, dass ich es mir leisten kann, das Thema „Arbeit“ weitgehend auszuklammern, weil eben die wirtschaftliche Lage ausgezeichnet ist und die Arbeitslosenstatistik einen historischen Tiefstand erreicht hat, in vielen westfälischen Kreisen haben wir volkswirtschaftlich betrachtet Vollbeschäftigung. Ich möchte mir jedenfalls nicht vorstellen, wie die Diskussionen des Jahres 2018 verlaufen wären, wenn wir eine Arbeitslosenquote von 20 % gehabt hätten.

All die Rahmenbedingungen, die ich gerade aufgezählt habe, nehmen wir im Alltag schlichtweg als gegeben hin. Manchmal helfen uns glückliche Umstände, in der Regel ist es aber das Ergebnis harter Arbeit. Das gilt gerade auch für die wirtschaftlichen Grundlagen: Ohne Unternehmerpersönlichkeiten, die zumal in kleinen und mittelständischen Betrieben auch ein hohes persönliches Risiko zu tragen bereit sind, ohne eine funktionierende Selbstverwaltung von Handwerk und Wirtschaft, ohne die jahrzehntelange Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmen und Gewerkschaften und ohne qualifizierte, gut motivierte Beschäftigte, hätte das Deutschland von heute ganz andere Probleme, über die dann hier zu reden wäre.

Ich möchte stattdessen über vier Aspekte sprechen, die direkt oder zumindest mittelbar auch mit meiner Arbeit zu tun haben, und die nach meiner Überzeugung ebenfalls für die Gesellschaft bedeutsam sind, in der wir heute leben, und ich möchte hinzufügen: in der wir gerne leben.

1. Solidaritätsprinzip

Ich beginne mit dem Solidaritätsprinzip. Bundespräsident Gustav Heinemann hat einmal gesagt:
„Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
Für mich heißt das: Eine Gesellschaft, die zusammenhält, das ist eine Gesellschaft, die es jedem Einzelnen ermöglicht, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich entsprechend seinen Fähigkeiten einzubringen.

Es besteht bei uns ein gesellschaftlicher Grundkonsens dahingehend, dass sich „Leistung lohnen soll“, dies aber nicht in einem darwinistischen Kapitalismus, sondern in einer sozialen Marktwirtschaft. Es gibt zum einen das Netz der Sozialversicherungen, die auf dem Solidaritätsgedanken beruhen. Jedem und Jeder kann es passieren, dass er schwer erkrankt oder durch einen Berufsunfall aus der Bahn geworfen wird. Die Menschen sind bereit, Beiträge dafür zu bezahlen, dass sie im Ernstfall abgesichert sind.

Die Menschen sind ebenfalls bereit, Steuern zu zahlen für eine dichte soziale Infrastruktur – selbst wenn die ihnen im ersten Anschein nach nicht unmittelbar „nützt“. Ich darf das an einigen Beispielen aus meinem Aufgabenspektrum illustrieren: Wir betreiben 35 Förderschulen, in denen über 8.000 Kinder mit ganz speziellen Behinderungen beschult werden. Etwa 40 % dieser Kinder sind schwerstmehrfach behindert. In vielen Ländern dieser Erde hätten sie keinerlei Chance auf schulische Bildung.

Oder: Wir bezahlen mit Ihren Steuergeldern in Westfalen-Lippe für das Wohnen und Arbeiten von annähernd 70.000 Menschen mit schwersten Behinderungen. Menschen, die in aller Regel am ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben und die daher von ihrem Einkommen auch nicht leben könnten. Über 600 dieser Menschen leben und arbeiten in Arnsberg, es sind Ihre Mitmenschen. Und es besteht auch eine große Einigkeit darin, dass Menschen mit schwersten Behinderungen nicht irgendwie „verwahrt“ werden, sondern dass sie nach Möglichkeit mitten unter uns wohnen sollten, dass sie möglichst umfassend am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen. Deswegen reden wir allerorten über den Weg in eine inklusive Gesellschaft, in der man nicht als „Behinderter“ definiert wird, sondern in erster Linie als Mensch und Bürger akzeptiert wird. Für uns ist es mittlerweile unvorstellbar, dass Menschen mit Behinderungen über viele Jahre hinweg zu dritt oder zu viert in einem Zimmer in einem Behindertenheim gelebt haben. In einer gewaltigen Kraftanstrengung zwischen LWL und freier Wohlfahrtspflege ist es gelungen, in den letzten 20 Jahren nicht nur die Mehrbettzimmer aufzulösen, sondern auch viele der großen Behinderteneinrichtungen zu dezentralisieren. Jedem zweiten Menschen mit schwersten Behinderungen können wir mittlerweile sogar ein selbstständiges Wohnen in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Inklusion kann nämlich nur dann funktionieren, wenn unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Beeinträchtigungen auch als Nachbarn in unseren Städten wohnen.

Ich könnte ähnliche Errungenschaften sozialen Fortschritts auch für andere Sozialleistungen wie Pflege oder die Hilfen zur Erziehung benennen. Mir geht es aber an dieser Stelle nur darum, Ihren Blick dafür zu schärfen, dass das, was ich Ihnen gerade erzählt habe, eine riesige gesellschaftliche Leistung ist. Schwächere werden nicht einfach aussortiert, Menschen, die persönliche Schicksalsschläge wie Krankheiten oder Unfälle zu verkraften hatten, werden nicht fallen gelassen. Ich bin sehr dankbar, dass ich in einer Gesellschaft leben darf, in der das nicht infrage gestellt wird.


2. Chancengerechtigkeit

Ein zweiter Gedanke erscheint mir ebenfalls wichtig, um den gesellschaftlichen Frieden aufrecht zu erhalten: Das Versprechen, das Jeder oder Jede, die sich anstrengt, einen schulischen Abschluss, eine berufliche Ausbildung und eine Arbeitsstelle erreichen kann, die ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht. Mir ist bewusst, dass das ein großer Anspruch ist und dass wir in einigen Bereichen noch ein Stück weit davon entfernt sind. Aber ich möchte mit Ihnen einmal auf die „Haben“-Seite schauen und ich erlaube mir dabei, wieder einige Bezüge zur Arbeit des LWL herzustellen.

Ich beginne einmal mit der Tagesbetreuung im vorschulischen Bereich: Bund und Länder haben in den letzten Jahren gewaltige Anstrengungen unternommen, um die Tagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren auszubauen. Das Landesjugendamt des LWL hat diesen Ausbau in Westfalen-Lippe im Auftrag des Landes fördertechnisch abgewickelt, mit tausenden von Förderbescheiden und Verwendungsnachweisen. Gerade auch für Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten oder aus erziehungsschwachen Elternhäusern ist das Angebot in der KiTa eine wichtige Basis für die weitere Entwicklung.

Im Primarstufenbereich und erst recht in der weiterführenden Schule tritt dann allerdings zutage, dass die Begleitung durch die Elternhäuser z. B. bei den Hausaufgaben recht unterschiedlich ausfällt. Ein qualifiziertes Ganztagsangebot mit Hausaufgabenbetreuung wäre wünschenswert. Jährlich verlassen in NRW etwa 5.000 Kinder (ca. 3%) ohne jeglichen schulischen Abschluss die weiterführenden Schulen. Soziale Folgeprobleme sind vorprogrammiert. Also ein Zustand, mit dem wir uns nicht abfinden dürfen. Ich weiß, dass an vielen Stellen bereits an Lösungen gearbeitet wird. Bspw. diskutiert das Handwerk über vereinfachte betriebliche Ausbildungsgänge.

Nach der Schule ist das Spektrum an betrieblichen und universitären Ausbildungsgängen breit gefächert. Die Systeme werden auch zunehmend durchlässiger. Und das Tolle ist: Wenn junge Leute heute einen Job haben, dann ist es für sie vielfach noch nicht „EdeKa“, also das Ende der Karriere. Beim LWL arbeiten etwa 17.000 Beschäftigte, davon ca. 1.500 im Hochsauerlandkreis (überwiegend in den psychiatrischen Kliniken in Marsberg). Immer wieder treffe ich auf junge Mitarbeitende, die sich weiterentwickeln wollen, indem sie ein berufsbegleitendes Studium z. B. im Pflegemanagement absolvieren. Und ich komme begeistert aus Gesprächen mit IHKs und Handwerkskammern, wenn ich sehe, wie vielfältig die betrieblichen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, und damit auch die Chancen auf beruflichen Aufstieg geworden sind.

Also halten wir fest: Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich nach seinen Gaben entwickeln zu können. Sozialer Aufstieg muss als reale Option und nicht nur als ferne Utopie gesehen werden können.

Gegenüber meinem kurzen Streifzug durch unser Bildungssystem nimmt sich ein jüngerer Befund der Bertelsmann-Stiftung allerdings deutlich düsterer aus: Danach leben rund 21 Prozent aller Kinder in Deutschland dauerhaft oder wiederkehrend in einer Armutslage. Armut bedeutet hierzulande für Kinder meist nicht, kein Dach über dem Kopf oder kein Essen zu haben – die existenzielle Grundversorgung ist in der Regel gewährleistet. Arm zu sein heißt aber, auf Vieles verzichten zu müssen, was für Gleichaltrige ganz normal zum Aufwachsen dazugehört. Oft sind solche Kinder vom gesellschaftlichen Leben abgekoppelt. Damit alle Kinder die besten Startbedingungen bekommen und eine faire Chance auf die Entfaltung ihrer Fähigkeiten haben – auch wenn sie in Elternhäusern mit benachteiligten Lebenslagen aufwachsen – muss Vieles gut ineinandergreifen. Dafür braucht es ein dichtes Netz aus niedrigschwelligen Angeboten. „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“, sagt ein bekanntes afrikanisches Stichwort. In diesem Sinne gibt es Viele, die als Akteure in den Gemeinden wichtige Unterstützer darstellen: Hebammen, Kinderärzte, Kindertagesstätten, Schulen, Jugendeinrichtungen, Sportvereine etc. Sie alle müssen gut vernetzt sein, um eine optimale Unterstützung geben zu können.

Hier in Arnsberg wissen Sie, wie wichtig ein solches Netzwerk ist. Denn als eine der Modellkommunen haben Sie an dem Programm „Kein Kind zurücklassen“ teilgenommen und sich schon vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, sich untereinander stärker zu vernetzen.

Eine zentrale Rolle für ein solches funktionierendes Netz spielen die Jugendämter vor Ort. Sie können die Akteure zusammenbringen und die Unterstützung koordinieren. Mit der Kompetenz unseres Landesjugendamtes unterstützen wir als LWL die örtlichen Jugendämter, aber auch die vielen Träger der Jugendhilfe bei ihrer Arbeit. Etwa, indem wir jährlich 700 Fortbildungen für Fachkräfte und Ehrenamtliche durchführen.
Für uns beim LWL ist die Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendliche ein besonders wichtiges Thema. Deshalb stellen wir in den nächsten 5 Jahren mit Hilfe der Auridis-Stiftung über 2 Mio. Euro bereit und schaffen eine sogenannte „Servicestelle Gelingendes Aufwachsen“. Hier können sich alle Jugendämter kompetent beraten lassen. Außerdem wir 12 Jugendämter in Westfalen-Lippe intensiver begleiten. Damit engagiert sich der LWL gegen die Folgen von Kinderarmut und für die gesellschaftliche Teilhabe von allen Kindern und Jugendlichen.”

(Fortsetzung folgt)

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