“Überzeugter Propagandakomponist”
Der Rat der Stadt Sundern muss in dieser Woche über den Antrag einer Bürgerinitiative entscheiden, ein Bürgerbegehren zur Abstimmung zuzulassen. Es geht darin um den Namen einer Straße, die nach einem Komponisten namens Nellius benannt ist. Nachdem sich enge Verstrickungen dieses Komponisten zum Nazi-Regime herausstellten, hatte der Rat der Stadt Sundern im letzten Jahr eine Umbenennung der Straße beschlossen. Dagegen regte sich Widerstand, vor allem bei den Anliegern.
Bei allem Verständnis für die Beibehaltung eines gewohnten Straßennamens, muss man sich aber immer vergegenwärtigen, wer hier durch den Straßennamen geehrt wird. Peter Bürger und Werner Neuhaus haben in Zusammenarbeit mit Michael Gosmann vom Stadtarchiv Arnsberg nach umfangreichen Recherchen Ende Januar eine detaillierte Studie vorgelegt, die hier nachzulesen ist.
Auf 121 Seiten kommen sie u.a. zu folgenden Ergebnissen:
“Georg Nellius stand bereits während der frühen Weimarer Republik in engem Kontakt zu völkisch-antisemitischen Kreisen und Hitler-Verehrern im Sauerland. Besonders als Vorsitzender des – zunehmend und schließlich eindeutig – nationalsozialistisch ausgerichteten „Sauerländer Künstlerkreises“ war er in der Spätphase der Weimarer Republik einer der Steigbügelhalter des NS im Sauerland. Dies wurde auch nachweislich von der Neheimer NSDAP so gesehen. Nellius bezeugt u.a. schon in persönlichen Aufzeichnungen vom 6.12.1931 die Lektüre von „Mein Kampf“ und sein vorauseilendes Bekenntnis zum „3. Reiche und seinem bewunderten Schmied Adolf Hitler“.
Aus der Zeit seiner Tätigkeit als Studienrat und NS-Kulturfunktionär in Herne (1933-1945) gibt es dann eine Fülle schriftlicher Aussagen von Nellius selbst, aber auch von Zeitgenossen, die eindeutig seine Führerverherrlichung und rassistisch-antisemitische Grundeinstellung und Tätigkeit belegen… Die im Historischen Centrum Hagen aufbewahrten Notenhandschriften des Komponisten (bis 1944) widerlegen eindeutig dessen spätere Behauptung, er habe in den 1930er Jahren lediglich unter Zwang einige wenige systemkonforme Texte nationalsozialistischer Dichter vertont.
Es trifft zu, dass Georg Nellius im September 1948 in seinem letzten Entnazifizierungsverfahren als sogenannter Entlasteter in Kategorie V eingestuft worden ist. Seine Entnazifizierungsakte in Düsseldorf und seine Personalakte in Münster enthalten jedoch zahlreiche Hinweise, dass diese „Entnazifizierung“ auf höchst widersprüchlichen und teilweise eindeutig falschen Aussagen von Nellius und der von ihm ausgewählten 43 Leumundszeugen beruht. Die 1946 und 1947 durchgeführten Verfahren, die ihn als „aktiven Nazi“ charakterisiert und in Kategorie III eingeordnet haben, entsprechen in weitaus höherem Maß den geschichtswissenschaftlich feststellbaren Sachverhalten.
Somit bleibt als durch zahlreiche Quellen sicher belegtes Fazit: Georg Nellius hat als Komponist, Dirigent und Kulturfunktionär während der Weimarer Republik und in der NS-Zeit wesentliche Bestandteile der NS-Ideologie bejaht; er hat über Jahrzehnte den „Führer“ Adolf Hitler und dessen Politik durch seine Kompositionen und in Selbstzeugnissen verherrlicht; er hat, wie jetzt nachzuweisen ist, als Funktionsträger im Musikwesen der NS-Zeit eine rassistische Judenfeindschaft an den Tag gelegt und Chorleitern negative Konsequenzen angedroht, falls „jüdische Musik“ nicht aus dem Programm genommen würde.
Georg Nellius gehört somit nicht zu den Persönlichkeiten, die durch einen Straßennamen öffentlich geehrt werden können.”
Wissenschaftliche Unterstützung erhalten die drei Autoren durch Prof. Dr. Michael Custodis, den geschäftsführenden Direktor des Instituts für Musikwissenschaft und Musikpädagogik an der Universität Münster. Seine Stellungnahme ist im Blog ZOOM veröffentlicht. Einige Auszüge:
“Die Erfahrungen meiner Forschungen decken sich mit den Ergebnissen Ihrer gründlich recherchierten Studie… Dabei zeigt sich m.E. ganz eindeutig, dass man es bei Georg Nellius mit einem überzeugten Antisemiten und Nationalsozialisten der ersten Stunde zu tun hat, der nicht nur in der Chorarbeit sehr agil war (die in der populistischen Zielrichtung des Dritten Reiches große Bedeutung hatte) und als Pädagoge die Indoktrinierung der Jugend nach Kräften beförderte, sondern vor allem als Künstler seine Musik in den Dienst des NS-Staates stellte…
Wenn daher – wie im aktuellen Fall einer Diskussion zur Umbenennung einer Nellius-Straße – die Einlassungen einer Persönlichkeit mit dem Dritten Reich zu bewerten sind, ist bei Georg Nellius festzuhalten, dass man es mit einem überzeugten Propagandakomponisten zu tun hat, der die Vorliebe der Nationalsozialisten für Volkslieder und Märsche nach Kräften zu bedienen suchte und auch in seinen weiteren, mit programmatischen Texten versehenen Stücken keinen der einschlägigen, unmissverständlichen Topoi („Langemark“, „Sieg Heil“; Huldigung der Wehrmacht, Führerkult, Heldenverehrung, Soldatenromantik und Durchhalteparolen nach der Schlacht von Stalingrad) ausließ.
Dass Nellius nach mehreren Revisionen schließlich aus seinem Spruchkammerverfahren formal unbeschadet hervorging, sagt dabei wenig aus über seine tatsächlichen Verstrickungen in das NS-System, als viel mehr über die politischen Zeitumstände bei der Übergabe der öffentlichen Kontrolle von den Alliierten in deutsche Zuständigkeit…
Zusammenfassend muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Ehrung einer Person durch einen Straßennamen immer die gesamte Persönlichkeit einschließt. Im Wissen um die Verstrickungen von Georg Nellius in den Nationalsozialismus muss man sich folglich bewusst machen, dass dieser Straßenname einen gläubigen Nationalsozialisten und Antisemiten ehrt, was man im Fall einer Beibehaltung des Straßennamens anschließend öffentlich zu rechtfertigen hätte. Im Jahr des tragischen Jubiläums eines ersten, 1914 von Deutschland ausgegangenen Weltkriegs und vor dem Hintergrund der daraus entstandenen tödlichen Konsequenzen für Millionen NS-Opfer sollte man die Verantwortung, die für unsere Gegenwart daraus entsteht, daher wohl bedenken.”
Es wäre unverantwortlich und außerdem rufschädigend für das Sauerland, wenn nach all diesen aktuellen Erkenntnissen immer noch am Straßennamen Nellius festgehalten würde. Selbstverständlich ist das kein Grund, die Durchführung eines Bürgerbegehrens formell abzulehnen, wenn die notwendige Anzahl an Unterstützerunterschriften vorliegt. Wer es aber jetzt noch inhaltlich unterstützt, sollte wissen, für wen er sich hier einsetzt.
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February 18, 2014 @ 3:42 am
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