Informationen und Meinungen zur Kreispolitik im HSK

Artikel aus der Welt am Sonntag vom 23.10.2006

By Matthias at 5:44 pm on Sunday, October 22, 2006

Äcker mit Giftabfall gedüngt

Tonnenweise wurde das krebserregende PFT mit Abfällen vermischt und als Dünger verkauft. Einzelne Abnehmer kassierten sogar hohe Geldprämien vom Hersteller.

Von David Schraven

Der Skandal um den krebserregenden Stoff PFT in Nordrhein-Westfalens Trinkwasser weitet sich aus. Nach Informationen der “Welt am Sonntag” sollen allein im Kreis Soest und im Hochsauerlandkreis (HSK) mehr als 54 000 Tonnen Klärschlamm-Abfall mit zum Teil hoch belasteten PFT-Chargen vermischt und auf über 800 Feldern verklappt worden sein. Das entspricht etwa 6700 Lastwagen-Ladungen. Die Behörden untersuchen, welche Flächen von dem als Dünger deklarierten Abfall so stark betroffen sind, dass die Felder saniert werden müssen.Aus den Äckern in Soest und dem Hochsauerlandkreis war das PFT in die Ruhr gelangt und von dort aus in das Trinkwasser mehrerer Ruhrgebietsstädte. In einigen Orten wurden die Grenzwerte weit überschritten. In Arnsberg gab es Trinkwasser für Kinder und Schwangere auf Bezugsscheine. Zuletzt wurde eine Trinkwasserversorgungsanlage in Lippstadt wegen PFT-Verseuchung geschlossen. Fische aus der Ruhr sind nach Auskunft des Bundesinstitutes für Risikobewertung mit dem Gift belastet und daher nicht “uneingeschränkt” zum Verzehr geeignet.Wie der Leiter der Abteilung Bodenschutz beim Kreis Soest, Alfons Matuszczyk, der “Welt m Sonntag” bestätigte, sind in seinem Verantwortungsbereich in den vergangenen Jahren rund 46 000 Tonnen “Nassmaterial” auf Felder ausgebracht worden. Dabei seien nicht alle Lieferungen mit PFT verunreinigt gewesen. Bei dem Material handelt es sich um Klärschlamm-Abfall der Firma GW Umwelt aus Borchen mit den Bezeichnungen “Terrafarm” oder “Terratop”. Insgesamt seien 39 Landwirte mit über 750 Flächen verwickelt.

Die Lieferungen mit “Terrafarm” oder “Terratop” bestanden teilweise aus Hochofenschlacke, Filterstaub, Kalkschlamm, Bauschutt und Geflügelkot. Alles wurde mit PFT zusammengerührt. Die Lieferfirma soll das unverträgliche Gemisch gegenüber den Kunden aus der Landwirtschaft als “Bodenhilfsstoff” ausgegeben haben.

Martin Reuther, Sprecher des Hochsauerlandkreises, gab an, in seinem Kreis seien etwa 8 400 Tonnen “Terrafarm” oder “Terratop” auf 58 Flächen verklappt worden. Allein auf einem einzigen Zehn-Hektar-Feld sei dabei die Menge von rund 400 Kilogramm reinem PFT versprüht worden. Bei den Flächen handele es sich vor allem um Äcker für Futterpflanzen wie Mais – und auch um Weihnachtsbaumfarmen.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Paderborn gegen den Geschäftsführer der GW Umwelt, Ralf W., wegen des Verdachtes auf Gewässerverunreinigung. Der 37-Jährige wurde wegen Verdunklungsgefahr in Haft genommen. Bei einer Razzia hatte er versucht, eine ihm “nahe stehende Person” zu überreden, mit einem Roll- koffer voller Geschäftsunterlagen zu verschwinden, sagte Staatsanwalt Horst Rürup.

Ralf W. hat laut Rürup ein ganzes Firmen-Geflecht unterhalten, in dem Klärschlamm und Bioabfälle hin und her geschoben wurden. “Wir reden von einem guten Duzend Firmen im hiesigen Bereich und im thüringischen Bleicherrode.” Intern erklärten Strafverfolger, dass krebserregende PFT sei von fast 20 Firmen aus Belgien, den Niederlanden und dem Frankfurter Raum angeliefert worden. Gegen mehrere werde ermittelt.

Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft haben Bauern für das Verklappen des Abfalls Geld von der GW Umwelt angenommen. Dabei seien rund zehn Euro je Tonne “Bodenhilfsstoff” üblich gewesen, sagte Staatsanwalt Rürup. “Einigen wenigen Großabnehmern wurde mehr gezahlt.” Nach internen Ermittlungsberichten wurden in den Spitzen sogar bis zu 30 Euro je Tonne bezahlt. Einige Bauern hätten insgesamt sogar bis zu 180 000 Euro kassiert.

Die Gift-Lieferungen gegen Bargeld gingen auch in die angrenzenden Bundesländer Hessen und Niedersachen, sowie in weitere Kreise in NRW. Laut Rürup wird nun geprüft, ob die Ermittlungen auch dort auf die betroffenen Bauern ausgeweitet werden müssen. Der Vorstand des Niers-Wasserverbandes, Professor Achim Melsa, meint, die Bauern hätten erkennen müssen, dass es um Illegales ging. “Diese Beträge sind nicht üblich. Eine Schweinerei, was da passiert ist.”

Offenbar hatte die GW Umwelt zu einigen Landwirten rund um den Ort Rüthen im Kreis Soest besonders intensive Beziehungen. Nach Berichten von Anwohnern sollen dort über Jahre hinweg große Mengen Dünger auf Felder rund aufgebracht worden sein.

Erst im Frühjahr waren die PFT-Panscher aufgeflogen, als Wissenschaftler des Bonner Hygieneinstitutes erhöhte PFT-Konzentrationen in der Ruhr und ihrem Zufluss Möhne entdeckt hatten. Laut Abteilungsleiter Matuszczyk vom Kreis Soest gilt eine Fläche am Silberbach, einen Zufluss der Möhne, als besonders gefährdet. Hier seien rund 30 Flächen mit GW-Abfall besprüht worden. Zurzeit wird untersucht, was zur Sanierung der Felder getan werden muss.

Derzeit streitet sich die Gemeinde Brilon mit einer Firma aus dem GW Verbund um die Sanierung eines anderen Ackers. Der Kreis will, dass die GW-Firma um den betroffenen Acker eine Drainage zieht und einen Aktivkohlefilter einbaut, der das Oberflächenwasser von PFT befreit, bevor es in die Ruhrzuflüsse gelangt. Die Arbeiten müssten bis Anfang Dezember beginnen, sagt Kreis-Sprecher Reuther. Die Firma hat dagegen Kla- ge beim Oberverwaltungsgericht Münster eingelegt. Das Land werde im Voraus einspringen, kündigte Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) am Freitag an. Er stellte dazu eine Million Euro bereit.

Nach Auskunft eines Sprechers will das NRW-Umweltministerium nun die Prioritäten festlegen, nach denen die belasteten Flächen saniert werden sollen. “Man muss im Einzelfall entscheiden, was unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten gemacht werden muss.” Auf jeden Fall werde man die Betroffenen nicht allein lassen. Darüber hinaus aber gehe es weiterhin darum, “die Verursacher überall in die Pflicht zu nehmen.”

Mittlerweile hat die EU die Produktion des krebserregenden Stoffes PFT verboten. Das Gift darf also in Europa weder produziert noch verkauft werden.

Artikel erschienen am 22.10.2006 in “Welt am Sonntag”

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