Informationen und Meinungen zur Kreispolitik im HSK

Schlimmer als gedacht

By adminRL at 12:32 pm on Monday, August 17, 2015

Die Klausurtagung der SBL/FW

Nein, damit keine Missverständnisse aufkommen, nicht die Klausurtagung war schlimmer als gedacht. Im Gegenteil, sie verlief harmonisch und war hoch interessant. Und nun zum Anfang:
Die Kreistagsfraktion Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) lud am Wochenende 15./16. August 2015 zu ihrer jährlichen Klausurtagung nach Sundern-Stockum ein. Dabei sollte sich nicht alles nur um Ereignisse im Kreishaus Meschede drehen. Schließlich gerät die Welt um uns herum gerade in beängstigender Weise aus den Fugen. Hintergründe, Erklärungen und Einschätzungen tun da gut, und sie haben Auswirkungen auf unsere Fraktionsarbeit.

Die Gastreferentin
Darum, aber nicht nur darum, hatte die SBL/FW die Fernsehpreisträgerin Martina Kast für Samstag als Referentin eingeladen. Sie arbeitet als freie Journalistin seit vielen Jahren unter anderem für das Fernsehmagazin Monitor und die WDR-Sendereihe Cosmo-TV. Cosmo-TV produziert z.B. Beiträge für Menschen mit Migrationshintergrund, zu politischen Entscheidungen, über die rechte Szene und über Flüchtlingsschicksale.
Klick: https://de.wikipedia.org/wiki/Cosmo_TV
und http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/cosmo_tv/filterseite-cosmo-tv100.html

Gabi-undMartinaKast1a
SBL-Geschäftsführerin Gabi Joch-Eren und Martina Kast bei der Fraktionsklausurtagung

Viele Drehs im Ausland
Während ihrer langen Zeit als Fernsehfrau hielt und hält sich Martina Kast häufig im Ausland auf, auch in den Balkan-Ländern. Die Kölnerin dreht(e) dort wichtige und spannende und mitunter nicht folgenlos bleibende Reportagen. Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben, liegen ihr besonders am Herzen. Die Journalistin dokumentiert immer wieder Einzel- und Familienschicksale, häufig das Leben und Leiden ehemaliger Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien. Wie sie uns glaubhaft schilderte, ist alles viel schlimmer und dramatischer als wir angenommen haben.

Was in Deutschland ganz im Geheimen geschieht
Menschen werden nachts aus dem Schlaf gerissen, überfallartig aus ihren Wohnungen geholt und mit ihren nötigsten Utensilien zum Flughafen verfrachtet. Es ist mindestens einmal passiert, dass eine Frau nur mit Nachthemd bekleidet in das Abschiebeflugzeug einsteigen und am Zielort auch so aussteigen musste.

Dubiose Gutachter
Medizinische Gutachter, die in Abschiebefällen zum Einsatz kommen, sind nicht selten unqualifiziert und/oder erstellen „Gefälligkeitsgutachten“ nach der Devise: Wenn anzunehmen ist, dass die Person den Flug überlebt, ist sie für diese Gutachter reisefähig.

Was im sogenannten Heimatland geschieht oder nicht geschieht
In der sogenannten Heimat sind die Abgeschobenen oft vollkommen sich selbst überlassen und erfahren wenig bis gar keine Unterstützung durch Behörden und Einrichtungen vor Ort. In diesen Ländern herrscht ein hohes Maß an Gewalt und Korruption. (Deutsche) Hilfsgelder gelangen zumeist in falsche Kanäle. Also stehen die Menschen vor solch existenziellen Problemen wie: Wo kann ich wohnen? Wovon soll ich mich ernähren? Wo kann ich meine Zahnschmerzen kurieren lassen und wovon kann ich die Behandlung bezahlen?

Menschen ohne Lobby
Besonders hart trifft es die Roma, egal ob in Serbien oder im Kosovo oder in einem anderen Südosteuropäischen Land. Sie sind eine Bevölkerungsgruppe ohne Lobby und Chancen und fast immer ohne Arbeits- und Existenzmöglichkeit. Losgelöst von gewachsenen, familiären Strukturen können sie sich kaum selbst ernähren. Medizinische Versorgung ist daher für sie unbezahlbar. Roma-Kinder bleiben größtenteils von schulischer Bildung ausgeschlossen, u.a. auch aus sprachlichen Gründen (sie sprechen nicht Albanisch), vor allem aber, weil kaum ein Lehrer in Serbien oder im Kosovo bereit ist, sich um sie zu kümmern und sie zu unterrichten. Es ist wie es ist, Roma (und andere ethnische Minderheiten) sind und bleiben ausgegrenzt und diskriminiert. Da hilft es nicht, die Lage schön zu reden und auch nicht, den im Dritten Reich verfolgten und ermordeten Sinti und Roma Denkmäler zu setzen und Trauerreden zu widmen.

Im Sauerland und anderswo
Martina Kast begleitete auch einige Jahre zwei aus dem Hochsauerlandkreis (aus Marsberg und aus Meschede) nach Serbien bzw. Kosovo abgeschobene Familien. Mehrmals war sie vor Ort und dokumentierte mit ihrer Kamera die für uns unvorstellbaren Wohn- und Lebensumstände der in Deutschland aufgewachsenen Kinder und ihrer Mutter bzw. ihrer Eltern. Das grausame Schicksal der Marsberger Familie Rustemi berührte damals auch einige Politiker und die Medien.
Klick: http://www.juramagazin.de/196792.html
Klack: http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=nr&dig=2007/02/07/a0025&cHash=7898d53529

Glückliche Wendung
Nicht zuletzt aufgrund des Engagements und der Berichterstattung von Cosmo-TV nahm das Familiendrama nach fast 2 Jahren endlich eine glückliche Wendung. Mutter und Kinder durften wieder legal aus dem Kosovo nach Marsberg einreisen. Der größte Teil der Familie lebt heute noch dort.

Wenig Aussicht auf Glück
So viel Glück haben leider längst nicht alle in Deutschland sozialisierten und aufgewachsenen Roma und auch nicht viele andere Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber. Und es wird weiter abgeschoben. Der Eindruck, es gebe bei einigen Ausländerämtern einen internen Wettkampf nach dem Motto „Wie schiebe ich am effektivsten ab?“ kommt nicht von ungefähr.

Ausländerbehörde ist nicht gleich Ausländerbehörde
Nach den Erfahrungen von Martina Kast zeigen sich dabei vor allem die Kreisausländerbehörden besonders rigoros und gnadenlos. Im Vergleich zu ihnen sind städtische Ausländerbehörden in der Regel viel näher am Menschen. Und das spiegelt sich oft in den Entscheidungen wider. Klar im Vorteil ist also, wer in einer Stadt mit eigenem Ausländeramt lebt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Allerdings liegt der Hochsauerlandkreis im Ranking der „schlimmen“ Ausländerämter schon seit vielen Jahren ganz weit oben. Leider haben Flüchtlinge und Asylbewerber meist nicht die Wahl ob sie beispielsweise nach Meschede, Arnsberg oder Dortmund ziehen.

Grübeln über die Sinnhaftigkeit
Und wir fragen uns immer wieder, welchen Sinn macht es, seit vielen Jahren in Deutschland lebende und oft sehr gut integrierte Menschen abzuschieben. Das Mirakel erschließt sich nicht unbedingt jedem (uns jedenfalls nicht), zumal in Zeiten von Bevölkerungsrückgang, viel beschworenem Fachkräftemangel und Überalterung! Aber das ist das nächste Thema … denn, alles ist schlimmer als gedacht!

Abgesang und Neuanfang
Noch eins: Wir danken Martina Kast für die spannenden drei Stunden, in denen sie uns an ihren Erlebnissen, Reportagen und Plänen teilhaben ließ, und wünschen ihr viel Erfolg und viel Glück für ihren weiteren berufliche und privaten Weg. Denn der WDR will zu unserem großen Bedauern die Sendung Cosmo-TV wahrscheinlich noch in diesem Jahr einstellen. Dass wir diese Entscheidung falsch finden, müssen wir hier wohl nicht ausdrücklich betonen!

Filed under: Bleiberecht für FlüchtlingeComments Off on Schlimmer als gedacht

No Comments

No comments yet.

RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.