PFT-Streit: “bekannte Unzulänglichkeit des vom Landrat … gewählten Sanierungsverfahrens”
Auf diesen Seiten ist mehrfach darüber berichtet worden, dass die Stadtwerke Brilon eine Verfügung gegen 8 Anlieger der unterhalb des PFT-verseuchten Feldes liegenden Straße “Im Siepen” in Briklon-Scharfenberg erlassen hatte. Dadurch sollten die Anlieger gezwungen werden, bis Ende Juni ihre Hausanschlüsse von einem anerkannten Sachverständigen auf Dichtigkeit prüfen zu lassen. Das hätte dazu geführt, dass die Anlieger für sehr viel Geld ihre Anschlüsse sofort hätten erneuern lassen müssen – und das stark mit PFT belastete Wasser wäre statt in die Kläranlage direkt in den Bach Bermecke und von da aus in die Möhne geflossen. Anscheinend haben die Stadtwerke Brilon dabei nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern auf Druck von Landesregierung und Kreisverwaltung.
Diesem Vorgehen hat das Verwaltungsgericht Arnsberg jetzt einen Riegel vorgeschoben. Die Anliegerin Elisabeth Henne hatte gegen die Verfügung der Stadtwerke geklagt. In einem Eilverfahren stellte das VG fest, dass sowohl die Zwangsgeldandrohung als auch die Terminsetzung rechtswidrig sind. Das Urteil des VG vom 10.05.2010 (14 L 219/10) wurde am 18.05.2010 bekannt gegeben.
In dem Urteilstext finden sich viele weitere eindeutige Hinweise auf die Beurteilung des Sachverhalts. Hier einige bemerkenswerte Zitate:
“Nach dem Ergebnis geologischer Untersuchungen wurde das Schichtenwasser aus den belasteten Feldern durch die vom Hochsauerlandkreis angelegte Drainage nicht gänzlich aufgefangen, sondern es drückte in das Kanalnetz der Stadtwerke Brilon.”
“Danach ist die Antragstellerin zur Zeit nicht verpflichtet, die Abwassersituation auf ihrem Grundstück überprüfen zu lassen, so dass sich die hierauf gerichtete Anordnung des Antragsgegners als nicht rechtens darstellt.”
“Im vorliegenden Fall wurde die Gefahrenlage unmittelbar durch das Aufbringen der Chemikalien auf den landwirtschaftlichen Flächen herbeigeführt. Alle weiteren Ursachen, welche die Gefährlichkeit der Situation mitbegründet haben, sind bei einer wertenden Betrachtung aus der Verantwortlichkeit auszuscheiden… Die Gefahr für die Kläranlage Scharfenberg, die Möhne und im weiteren Verlauf die Trinkwasserversorgung geht nicht von dem Grundstück der Antragstellerin aus, sondern von den PFT-belasteten Feldern… Für die Trinkwassergefährdung ist die Antragstellerin mithin ebenso wenig verantwortlich wie etwa der Betreiber der Kläranlage bei Scharfenberg.”
“Eine andere Form der Gefahrenabwehr drängt sich im vorliegenden Fall allerdings geradezu auf. Die Kläranlage Scharfenberg ließe sich nachrüsten, um sie auch bezüglich der PFT im Abwasser zu ertüchtigen. Dass Abwasserreinigung mit Hilfe von Aktivkohle technisch möglich ist, haben die Bediensteten der Bodenschutzbehörde u.a. anlässlich des gerichtlichen Ortstermins am 31. März vergangenen Jahres in dem Verfahren 14 K 1699/08 anschaulich und mit Nachdruck geltend gemacht. Die bereits damals den beteiligten Behörden (nicht jedoch dem Gericht) bekannte Unzulänglichkeit des vom Landrat des Hochsauerlandkreises nach sachverständiger Beratung gewählten Sanierungsverfahrens beruht nicht auf Mängeln der Wasserbehandlung in der oberhalb Scharfenbergs neu errichteten Anlage, sondern darauf, dass auf der sog. “Südfläche” das belastete Wasser nicht bzw. nicht vollständig erfasst wird… Etwaige Mehrkosten der zweiten Alternative können es jedoch nicht rechtfertigen, gänzlich unbeteiligte Personen, die keinerlei Verantwortung tragen für die PFT-Fracht in Möhne und Ruhr, in die Pflicht zu nehmen.”
“Hierdurch würde die Problematik indessen nicht gelöst, sondern lediglich verlagert. Ließe sich der Pfad “belastetes Feld – Sickerwasser – Kanalisation – Kläranlage – Möhne – Wasserwerk” vor der Kläranlage wirksam unterbrechen, würde sich das Wasser mit der aus den landwirtschaftlichen Flächen ausgewaschenen PFT-Fracht einen anderen Weg suchen. Es würde letztlich in den Bächen auftreten, die Scharfenberg durchfließen und nach 1 bis 2 km in die Möhne münden… Die der Antragstellerin abverlangte Maßnahme würde zwar eine Reduzierung der PFT-Werte in der Kläranlage herbeiführen, ohne dass hierdurch die Gewässerqualität von Möhne und Ruhr wirklich gehoben würde.”
“Die Lieferanten des angeblichen “Bodenverbesserers” handelten nach Überzeugung des Gerichts aus Gewinnsucht und ausweislich der umfangreichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bielefeld, die dem Gericht in der Sache 14 K 1699/08 vorlagen, mit beträchtlicher krimineller Energie.”
“Die Volksgesundheit rechtfertigt mithin die sofortige Vollziehung nicht, weil dieser Belang weiterhin gefährdet bleibt, indem sich das PFT-haltige Wasser andere Wege in die Möhne sucht. Dieser Sachverhalt ist im Übrigen ausweislich der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners den mit der Angelegenheit befassten Behörden seit längerem bekannt. Bereits in einem Vermerk aus April 2008 wird festgehalten, dass selbst dann, wenn alle Kanäle dicht seien, das PFT-haltige Wasser weiter in Richtung Möhne fließen werde, so dass die gesamte Angelegenheit mit Augenmaß behandelt werden solle. Eine gleichlautende Feststellung enthält ein Vermerk vom 12. Januar 2009… Ein besonderes öffentliches Interesse daran, die PFT-Belastung der Kläranlage dadurch zu reduzieren, dass die PFT-Frachten nicht mehr durch die Anlage fließen, sondern an ihr vorbei, ist jedenfalls nicht zu erkennen.”