Die Grünen übersehen in ihrem neuen Wirtschaftspapier die Macht des globalen Kapitalismus und blenden auch die soziale Verantwortung aus
Grüne Politiker haben den totalen Wettbewerb als Motor für die Wirtschaft entdeckt. Sven Giegold von Attac kritisiert das, denn Wachstum allein erzeuge noch keine gerechte Volkswirtschaft.
VON SVEN GIEGOLD<
In der kommenden Woche werden die Grünen auf der Klausur ihrer Bundestagsfraktion ihr wirtschaftspolitisches Profil diskutieren. Auf dem Tisch liegt der 40-seitige Text “MehrWert – Grüne Marktwirtschaft” aus den Federn von Matthias Berninger, Fritz Kuhn und sechs weiteren FraktionspolitikerInnen. Kein grünes Gremium hat das Papier bislang beschlossen, nicht einmal die Bundestagsfraktion. Trotzdem wird es auf der Homepage und im Magazin “profil” der Fraktion als offizielle grüne Linie präsentiert. Eine offene Diskussion vermied die Parteispitze/Fraktionsspitze auf der letzten Bundesdelegiertenkonferenz Anfang Dezember, wusste sie doch um den Sprengstoff in dem Papier. Die Zustimmung zum Kosovo- und Afghanistan-Einsatz bedeutete den Bruch der Grünen mit der Programmatik der Friedensbewegung und der frühen Grünen. Hartz IV brachte die Entfremdung zu progressiven GewerkschafterInnen und Sozialinitiativen. Nun kündigen die wirtschaftspolitischen Festlegungen in diesem Papier den Bruch mit der Ökologiebewegung an.Das Elend des Textes zeigt sich schon am Leitbild “Grüne Marktwirtschaft”. “Wirtschaft” ist für die AutorInnen gleichbedeutend mit “Marktwirtschaft”. Tatsächlich aber sind alle modernen Ökonomien “gemischte Wirtschaften”, eine Mischung aus privatem, öffentlichem und genossenschaftlichem/non-profit-Sektor. Wann Märkte mit intensivem Wettbewerb akzeptabel funktionieren können und wann eben nicht, beschäftigt die Wirtschaftswissenschaft schon lange. Die grünen AutorInnen kümmern sich wenig um solche “Subtilitäten”. Der Text orientiert sich einseitig an der Durchsetzung effizienter und offener Märkte. Dass ein Großteil menschlicher Bedürfnisse nicht marktwirtschaftlich befriedigt wird, beschäftigt die AutorInnen nicht. Die große Bedeutung von Eigenarbeit, Vereinen und ökonomischer Selbsthilfe – früher ein Lieblingsthema der Grünen – taucht nicht einmal mehr auf. Auch aus ökologischer Sicht führt diese Einseitigkeit zu absurden Ergebnissen, wenn etwa freier Wettbewerb für den Schienenverkehr oder für die Briefpost gefordert wird, obwohl schon die vielen Paketdienste nerven und wohl kaum einen ökologischen Fortschritt gebracht haben.Sicher, die grünen AutorInnen plädieren nicht für den totalen, den unregulierten Markt. Sie wollen anspruchsvolle sozial-ökologische Rahmensetzungen. Dabei jedoch bleibt die zentrale Frage heutiger sozial-ökologischer Politik tabuisiert: Wie lassen sich solche Regulierungen überhaupt durchsetzen in einer globalisierten Welt, in der die Nationalstaaten zunehmend an Einfluss verlieren? Die soziale Regulierung der Wirtschaft ist traditionell Aufgabe der Nationalstaaten. Angesichts des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und internationalen Freihandels wird dies jedoch immer schwerer. Unsicherheit und Ungleichheit steigen wie auch die Armut. Das Diktat der Wettbewerbsfähigkeit einerseits und die Stärkung wirtschaftsliberaler Interessensgruppen in den Nationalstaaten andererseits machen anspruchsvolle Regulierungen fast unmöglich.
Angesichts der ständig sinkenden Fähigkeit und politischen Bereitschaft, dem globalisierten Kapitalismus sozial-ökologische Grenzen zu setzen, müsste ein wirtschaftspolitischer Grundlagentext einer Ökopartei völlig anders buchstabiert werden. Das gilt umso mehr, wenn sie – wie die Grünen – den Anspruch hat, ihr Ohr nahe der Zivilgesellschaft zu haben. Die kritische Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der fehlgesteuerten Globalisierung des Kapitalismus ist das zentrale Thema der globalen Zivilgesellschaft heute. Die “Grüne Marktwirtschaft” träumt dagegen von einem “Freisetzen des Marktes” in der Hoffnung, dass sich dies schon international sozial-ökologisch regulieren lasse. Statt zu fordern: “Grüne Wirtschaftspolitik will funktionierende Märkte mit hoher Wettbewerbsintensität”, müsste heutige Realpolitik vielmehr fragen: Welche Legitimation hat Kapitalismus, wenn er sozial nicht mehr zu regulieren ist? Welche Legitimation kann ein Wirtschaftssystem beanspruchen, das die Demokratie zunehmend ad absurdum führt?
Es geht heute nicht darum, überall den totalen Wettbewerb durchzusetzen, sondern “Verkehrsberuhigungen” durchzusetzen. Das heißt, die Verfügungsgewalt von Kapital und Eigentum zu beschränken. So wären wirtschaftliche Aktivitäten zu ermöglichen, die nicht dem Diktat der höchsten ökonomischen Effizienz folgen, sondern Wirtschaften mit sozialen, ökologischen und demokratischen Zielen verbinden.
Sven Giegold gehört zu den Mitbegründern von Attac Deutschland. Der Wirtschafts- wissenschaftler vertritt den Umweltverband Bund im Koordinierungskreis von Attac. Attac ist ein weltweites Netzwerk, das die Globalisierung analysiert und neoliberale Ideologien kritisiert. ber
Schließlich zieht sich ein weiterer Gedanke durch die “Grüne Marktwirtschaft”: Deutschland soll ökonomisch profitieren, indem es sozial-ökologisch reformiert wird. Zunächst ist das auch politisch ein smarter Gedanke. Auf diese Weise wachsen, wie etwa bei den erneuerbaren Energien, Interessensgruppen, die das Gute auch des Mammons wegen verteidigen. Gefährlich wird es aus progressiver Sicht allerdings, wenn die ökonomischen Interessen gegen sozial-ökologische Ziele verteidigt werden. Wenn die AutorInnen des Textes pauschal gegen den Technologiediebstahl wettern, so nützt dies eben nicht dem ökologischen Umbau. Es geht vielmehr darum, dass sich etwa ökologische Industrien so schnell wie möglich global verbreiten. Jeder muss energie- und ressourceneffiziente Technologien kostengünstig nutzen dürfen. Ein strenges Regime geistiger Eigentumsrechte ist dabei der Innovation genauso abträglich, wie bei Medikamenten, Saatgut oder Software. Ebenso fragwürdig ist, in der Migrationspolitik pauschal mehr “Einwanderung von Qualifizierten” zu fordern. Schon heute funktioniert in vielen armen Ländern das Gesundheitssystem wegen der Abwanderung der Fachkräfte nicht mehr. Dies noch zu beschleunigen ist wohl kaum emanzipatorisch.
Ganz nebenbei wird mit dem Papier noch ein weiterer scheinbarer Ballast grüner Philosophie beseitigt: Die Kritik an der Orientierung der Wirtschaftspolitik auf Wachstum. An diversen Stellen wird im Text – wie selbstverständlich – unterstrichen, dass es um mehr Wachstum gehen muss. Früher war es eine Stärke der Grünen, in Frage zu stellen, ob “mehr” immer besser ist. Bis heute gilt es in der Umweltbewegung als Allgemeinplatz, dass unendliches exponentielles Wachstum auf einem begrenzten Planeten unmöglich ist. Es ist breiter Öko-Konsens, dass Ressourceneffizienz nicht ewig exponentiell steigerbar ist und dass der Norden seiner Wirtschaft ökologische Fesseln anlegen muss, damit die armen Länder wachsen können. Produktivitätsgewinne sollten für Arbeitszeitverkürzungen und weniger für ökonomisches Wachstum genutzt werden. Diese Frage wird im Text “Grüne Marktwirtschaft” gar nicht mehr gestellt. Die Wachstumskritik wird mit der Kritik am Konsumterror, am Überfluss kommentarlos entsorgt. Damit brechen die reformierten Grünen an einem zentralen Punkt mit ihren Ökowurzeln.
Wenn sich die WirtschaftspolitikerInnen der Bundestagsfraktion durchsetzen und diese Orientierung an “Grüner Marktwirtschaft” zum Leitbild der Grünen machen, so wird dies dem Bruch mit den sozialen Bewegungen eine weitere Dimension geben. Es mag sein, dass Koalitionen mit CDU und FDP durch diese Programmatik einfacher werden. Dem Ziel eines ökologischen Umbaus unter den Bedingungen eines globalisierten Kapitalismus entspricht sie nicht.
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