Die ökologischen Wurzeln ausgerissen – Kommentar eines Attac-Mitbegründers zur Neuen Marktwirtschaft der Grünen Bundespartei
Die Grünen übersehen in ihrem neuen Wirtschaftspapier die Macht des globalen Kapitalismus und blenden auch die soziale Verantwortung aus
Grüne Politiker haben den totalen Wettbewerb als Motor für die Wirtschaft entdeckt. Sven Giegold von Attac kritisiert das, denn Wachstum allein erzeuge noch keine gerechte Volkswirtschaft.
VON SVEN GIEGOLD<
Angesichts der ständig sinkenden Fähigkeit und politischen Bereitschaft, dem globalisierten Kapitalismus sozial-ökologische Grenzen zu setzen, müsste ein wirtschaftspolitischer Grundlagentext einer Ökopartei völlig anders buchstabiert werden. Das gilt umso mehr, wenn sie – wie die Grünen – den Anspruch hat, ihr Ohr nahe der Zivilgesellschaft zu haben. Die kritische Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der fehlgesteuerten Globalisierung des Kapitalismus ist das zentrale Thema der globalen Zivilgesellschaft heute. Die “Grüne Marktwirtschaft” träumt dagegen von einem “Freisetzen des Marktes” in der Hoffnung, dass sich dies schon international sozial-ökologisch regulieren lasse. Statt zu fordern: “Grüne Wirtschaftspolitik will funktionierende Märkte mit hoher Wettbewerbsintensität”, müsste heutige Realpolitik vielmehr fragen: Welche Legitimation hat Kapitalismus, wenn er sozial nicht mehr zu regulieren ist? Welche Legitimation kann ein Wirtschaftssystem beanspruchen, das die Demokratie zunehmend ad absurdum führt?
Es geht heute nicht darum, überall den totalen Wettbewerb durchzusetzen, sondern “Verkehrsberuhigungen” durchzusetzen. Das heißt, die Verfügungsgewalt von Kapital und Eigentum zu beschränken. So wären wirtschaftliche Aktivitäten zu ermöglichen, die nicht dem Diktat der höchsten ökonomischen Effizienz folgen, sondern Wirtschaften mit sozialen, ökologischen und demokratischen Zielen verbinden.
Schließlich zieht sich ein weiterer Gedanke durch die “Grüne Marktwirtschaft”: Deutschland soll ökonomisch profitieren, indem es sozial-ökologisch reformiert wird. Zunächst ist das auch politisch ein smarter Gedanke. Auf diese Weise wachsen, wie etwa bei den erneuerbaren Energien, Interessensgruppen, die das Gute auch des Mammons wegen verteidigen. Gefährlich wird es aus progressiver Sicht allerdings, wenn die ökonomischen Interessen gegen sozial-ökologische Ziele verteidigt werden. Wenn die AutorInnen des Textes pauschal gegen den Technologiediebstahl wettern, so nützt dies eben nicht dem ökologischen Umbau. Es geht vielmehr darum, dass sich etwa ökologische Industrien so schnell wie möglich global verbreiten. Jeder muss energie- und ressourceneffiziente Technologien kostengünstig nutzen dürfen. Ein strenges Regime geistiger Eigentumsrechte ist dabei der Innovation genauso abträglich, wie bei Medikamenten, Saatgut oder Software. Ebenso fragwürdig ist, in der Migrationspolitik pauschal mehr “Einwanderung von Qualifizierten” zu fordern. Schon heute funktioniert in vielen armen Ländern das Gesundheitssystem wegen der Abwanderung der Fachkräfte nicht mehr. Dies noch zu beschleunigen ist wohl kaum emanzipatorisch.
Ganz nebenbei wird mit dem Papier noch ein weiterer scheinbarer Ballast grüner Philosophie beseitigt: Die Kritik an der Orientierung der Wirtschaftspolitik auf Wachstum. An diversen Stellen wird im Text – wie selbstverständlich – unterstrichen, dass es um mehr Wachstum gehen muss. Früher war es eine Stärke der Grünen, in Frage zu stellen, ob “mehr” immer besser ist. Bis heute gilt es in der Umweltbewegung als Allgemeinplatz, dass unendliches exponentielles Wachstum auf einem begrenzten Planeten unmöglich ist. Es ist breiter Öko-Konsens, dass Ressourceneffizienz nicht ewig exponentiell steigerbar ist und dass der Norden seiner Wirtschaft ökologische Fesseln anlegen muss, damit die armen Länder wachsen können. Produktivitätsgewinne sollten für Arbeitszeitverkürzungen und weniger für ökonomisches Wachstum genutzt werden. Diese Frage wird im Text “Grüne Marktwirtschaft” gar nicht mehr gestellt. Die Wachstumskritik wird mit der Kritik am Konsumterror, am Überfluss kommentarlos entsorgt. Damit brechen die reformierten Grünen an einem zentralen Punkt mit ihren Ökowurzeln.
Wenn sich die WirtschaftspolitikerInnen der Bundestagsfraktion durchsetzen und diese Orientierung an “Grüner Marktwirtschaft” zum Leitbild der Grünen machen, so wird dies dem Bruch mit den sozialen Bewegungen eine weitere Dimension geben. Es mag sein, dass Koalitionen mit CDU und FDP durch diese Programmatik einfacher werden. Dem Ziel eines ökologischen Umbaus unter den Bedingungen eines globalisierten Kapitalismus entspricht sie nicht.
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