Beispiel Schweden: Kommunen stärken!
Bessere Kitas und Krankenhäuser
Die neue Föderalismuskommission sollte von Schweden lernen: Dort entscheiden die Bürger in den Gemeinden, wie viel Steuern sie zahlen – und wofür sie das Geld ausgeben
Vor 15 Jahren kamen die Dänen in Scharen über die Grenze nach Schleswig-Holstein, um dort zu arbeiten. Keine Baustelle ohne dänisches Kennzeichen. Auch Schwedens Ökonomie ächzte unter den Soziallasten. Der skandinavische “Sozialismus” schien am Ende. Heute ist die Welt umgekehrt. Nördlich der Grenze ist die Arbeitslosigkeit auf 4,3 Prozent gesunken. Doch der skandinavische Sozialstaat ist weiterhin vorbildlich. Gleichzeitig boomt die Wirtschaft – im letzten Jahr wuchs die schwedische Ökonomie um mehr als 4 Prozent.
Dabei erheben die Skandinavier die höchsten Steuern im OECD-Vergleich. Das verbreitete Credo der Wirtschaftswissenschaft scheint widerlegt, dass niedrige Steuern gut fürs Wachstum seien. Genauso erstaunlich ist allerdings, dass die Skandinavier die Steuerlast akzeptieren. Immerhin ist die Summe von Steuern und Abgaben ein Drittel höher als in Deutschland.
Das Geheimnis des skandinavischen Erfolgs: Bürgernähe. Die Kommunen sind der Staat. Sie kassieren zum Beispiel den größten Teil der Einkommensteuern. Bürger mit einem Jahreseinkommen von bis zu etwa 30.000 Euro zahlen in Schweden nur Steuern an die Gemeinde und den Län (eine Art Großkreis). Der Steuersatz wird von den Kommunen selbst festgelegt und schwankt zwischen 28,9 und 34,04 Prozent. Nur wer mehr verdient, muss eine progressive Einkommensteuer an den Zentralstaat bezahlen, der auch die Mehrwertsteuer von 25 Prozent sowie weitere Verbrauchsteuern oder die Unternehmensteuern kassiert. In Schweden werden daher fast die Hälfte aller öffentlichen Ausgaben von den Kommunen getätigt, in Dänemark sind es rund zwei Drittel.
Mit dem Zentralstaat hat der normale Bürger nur zu tun, wenn er zum Militär muss, zur Polizei oder zum Gericht – also zu den klassischen Organen des Obrigkeitsstaates. Angesichts der Bedeutung der Kommunen ist es kein Wunder, dass die Bürger bereit sind, hohe Steuern zu zahlen. Sie sehen vor Ort, was damit geschieht. In Dänemark wird etwa in Gemeinderäten diskutiert, ob man für zwei Jahre die Einkommensteuer um 2 Prozent anhebt, um eine neue Schule zu finanzieren. Wenn diese dann gebaut ist, können die Steuern wieder gesenkt werden.
In Deutschland dagegen hängen die Kommunen am Gängelband des Bundes und der Länder. Auch bei der Föderalismusreform spielen die Gemeinden keine Rolle. Zur gestrigen Auftaktveranstaltung waren nur Vertreter der Länder und des Bundes geladen, um die Finanzbeziehungen neu zu regeln.
Die Missachtung und Entmachtung der deutschen Kommunen erklärt nicht nur, warum zwischen Staat und Bürgern eine starke Entfremdung zu beobachten ist. Die starke Stellung des Zentralstaats ist auch für ein weiteres deutsches Kuriosum verantwortlich: Die Bundesrepublik gibt sehr viel Geld für die Kinderbetreuung aus – aber es fließt nicht an Kindergärten und Krippen, sondern direkt an Einzelpersonen. 1,93 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes werden für die individuelle Familienförderung aufgewendet – ob für Kindergeld, Steuerfreibeträge, Baukindergeld oder Ehegattensplitting. Abstruserweise profitieren davon auch oft Familien ohne Kinder.
Schweden hingegen zahlt nur ein Kindergeld von etwa 100 Euro und das so heiß diskutierte Elterngeld für 390 Tage. Ansonsten gibt es fast nichts an monetären Leistungen. Stattdessen hat jedes schwedische Kind ab einem Jahr einen Anspruch auf einen Krippenplatz – mit 3 BetreuerInnen für 13 Kinder. Junge Mütter müssen also nicht zwischen Beruf oder Kind wählen und entscheiden sich sehr viel häufiger für Nachwuchs.
Zentralstaaten sind eben immer versucht, die Akzeptanz der BürgerInnen durch monetäre Geldtransfers zu erreichen. Ein Bundestagsabgeordneter kann punkten, wenn das Kindergeld erhöht wird. Kommunalpolitiker hingegen geben das Geld lieber für die Kita oder Schule aus – da sieht man, was man hat.
Zur starken Stellung der Kommunen gehört, dass die schwedische Schulen weitgehend autonom sind und von ihren Gemeinden finanziert werden. Der Zentralstaat setzt nur die Bildungsziele fest, die er durch nationale Evaluationen kontrolliert. Die Einzelergebnisse der Schulen werden dann im Internet veröffentlicht. Schneidet eine Schule schlecht ab, greift keine Schulaufsicht ein. Aber es entsteht eine lebhafte Debatte in den Kommunalzeitungen, in den Schulgremien und im Gemeinderat. Dieser Qualitätswettbewerb erklärt, warum die schwedische Einheitsschule, die Noten erst ab Klasse 8 vergibt, so viel erfolgreicher ist als das deutsche dreigliedrige Schulsystem. Eine schwedische Wissenschaftlerin drückte es so aus: “In Deutschland bekommen die Kinder Noten, in Schweden werden die Schulen benotet” – also die Lehrer. Allerdings geben die skandinavischen Ländern auch sehr viel mehr Geld für die Bildung aus. Wieder bewährt sich, dass die BürgerInnen sofort sehen, was mit ihren Steuern geschieht.
Ähnlich ist es mit der Altenpflege. Jede Kommune ist bemüht, eine gute und möglichst ambulante Pflege vor Ort und attraktive Altenwohnungen anzubieten. Nicht teure Transferleistungen, sondern gute kommunale Einrichtungen stehen im Vordergrund und werden von den Bürgern bei den nächsten Kommunalwahlen belohnt.
Auch das Gesundheitssystem wird in Skandinavien vor Ort organisiert. Mit überraschendem Erfolg: Die Kosten für Ärzte und Krankenhäuser sind um 20 Prozent niedriger als in Deutschland – trotzdem liegt die Lebenserwartung in Schweden zwei Jahre höher. Denn es wird erheblich mehr Wert auf Vorsorge gelegt; dafür ist allerdings die Ausstattung der Krankenhäuser in der Spitzenmedizin schlechter. Während in Deutschland das meiste Geld für teuere Operationen im hohen Alter ausgegeben wird, ist ein kommunales Gesundheitswesen darauf angewiesen, allen Altersgruppen möglichst guten Service zu bieten.
In der deutschen Föderalismusdebatte wird von vielen Politikern – auch vielen Grünen – eingewandt, dass größere Autonomie die ärmeren Bundesländer und Kommunen gravierend benachteilige. Das lässt sich jedoch durch einen intelligenten Finanzausgleich wie in Schweden verhindern. Er besteht aus zwei Komponenten:
1. einem Ausgleich der Steuerkraft, der auf dem Bruttoinlandsprodukt der Kommunen basiert.
2. einem Strukturausgleich. Er berücksichtigt Kinderzahl, Beschäftigungssituation, Bevölkerungsdichte, Verkehrsdichte, Klima und demografische Entwicklungen. Dies kann durchaus zu einer Überkompensation für ärmere Gebiete führen.
In Deutschland wird föderaler Wettbewerb immer so verstanden, dass die Länder um geringere Ausgaben konkurrieren. In Skandinavien hingegen besteht die Autonomie darin, dass die Kommunen ihre Einnahmen selbst bestimmen. Die Bürger entscheiden konkret vor Ort, wie viel Dienstleistungen sie haben wollen und wie viele Steuern sie dafür zahlen. So viel Freiheit wäre auch den Deutschen zu gönnen. KARL-MARTIN HENTSCHEL
taz Nr. 8221 vom 9.3.2007, Seite 11, 241 Kommentar KARL-MARTIN HENTSCHEL, taz-Debatte
Comment by Helmuth Schweitzer
March 21, 2007 @ 8:12 pm
Lieber Herr Hentschel, NRW ist leider für die hiesigen Politiker/innen in NRW zu weit weg. Gibt es Kommunalpolitiker, die diese Informationen aus Schweden auch hier genauer kennen?