Rederecht für Minderheiten
Am 08.12.2021 wurde in Münster bei Oberverwaltungsgericht (OVG) über eine Klage von 5 Briloner Ratsmitgliedern verhandelt, das Bedeutung auch für viele andere Kommunen in NRW hat. Anlass war eine von der Mehrheit des Briloner Rates bereits im Sommer 2017 beschlossene Änderung der Geschäftsordnung. Dadurch wurden die Redemöglichkeiten erheblich eingeschränkt. U.a. waren nun nur noch 2 statt bisher 3 Wortbeiträge je Tagesordnungspunkt (TOP) zulässig, und die maximale Rededauer wurde von 10 auf 5 Minuten halbiert. Das reicht bei fast allen Tagesordnungspunkten aus, aber bei einige kritischen und kontroversen Punkten eben nicht. Daher klagten alle 5 Mitglieder des damaligen Rates, die nicht zur CDU oder SPD gehören, gemeinsam gegen diese Einschränkung. Sie betrifft sowohl den Rat als auch die von ihm gebildeten Ausschüsse.
Im Dezember 2019 gab das Verwaltungsgericht den 5 Klägern von Bürgerliste, FDP und Linken weitgehend Recht. In der Folge legte der Rechtsanwalt des Bürgermeisters einen Kompromissvorschlag vor: Sowohl im Rat als auch in den Ausschüssen sollten künftig 3 Wortmeldungen je TOP möglich sein. Nur bei den TOPs im Rat, die bereits vorher in einem Ausschuss beraten wurden, sollten es nur maximal 2 Wortmeldungen geben. Die Redezeit im Rat sollte höchstens 5 Minuten und in den Ausschüssen bis zu 7 Minuten betragen. Diesen Vorschlag brachte der Bürgermeister im Januar 2020 in den Rat ein. Alle Kläger waren damit ohne jede weitere Bedingung einverstanden. Aber die CDU wollte nicht mitmachen. Statt dann den Vorschlag ohne die CDU-Fraktion zu beschließen, fiel der Bürgermeister – wie schon öfters in ähnlichen Situationen – “um” und unterstützte seinen eigenen Vorschlag nicht mehr. Stattdessen trieb die Stadt Brilon durch das Einlegen einer Berufung in die 2. Instanz beim OVG.
Dort wurde nun verhandelt, nachdem fast zwei weitere Jahre vergangen waren.
Das Ergebnis: Kläger und Bürgermeister verständigten sich auf Anregung des Gerichts darauf, dass der Bürgermeister seinen im Januar 2020 von ihm zurückgezogenen Kompromissvorschlag erneut in den Rat einbringt, ohne Veränderung. Dazu erklärte der Bürgermeister ausdrücklich (wie es auch im Protokoll steht): “Eine solche Zusage gebe ich hiermit ab”.
Im Protokoll der Verhandlung finden sich weitere Hinweise des Senats des OVG, wie mit dem Rederecht umzugehen ist und die Bedeutung über die Stadt Brilon hinaus haben.
Konkret heisst es dort:
“Der Senat lege dabei des Weiteren zu Grunde, dass schon nach dem Wortlaut der umstrittenen Regelung Nachfragen, Verständnisfragen und vergleichbare Äußerungen nicht als Redebeitrag gewertet werden dürfen.” Wenn also ein Ratsmitglied Fragen zum Inhalt einer Sitzungsdrucksache hat, so wird dies nicht auf die Zahl der Wortmeldungen angerechnet – anders als bisher meist gehandhabt.
Und: ”
In der Sache neige der Senat im Übrigen dazu, die rechtliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts zu teilen.” Das hatte bereits festgestellt (s.o.), dass vor allem in den Ausschüssen die Rederechte durch die Änderung der Geschäftsordnung zu stark eingeschränkt worden waren.
Jetzt ist der Rat der Stadt Brilon wieder an der Reihe. Folgt er dann mehrheitlich dem Kompromissvorschlag, ist die Situation geklärt. Andernfalls dürfte es weiteren Klärungsbedarf geben …