Krieg ist entsetzlich langweilig!
Im folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der Zeitschrift *Brandeins* über ein Buch von Werner Pieper. Der Autor ist in Meschede geboren und in Sundern – Dörnholthausen aufgewachsen. Er ist frühzeitig dem Sauerland *entflohen* und wurde erfolgreicher Verleger in Heidelberg.
Kultur-Kolumne: Der Krieg ist vorbei
Was bisher geschah: Den modernen Menschen gibt es seit etwa 150 000 Jahren. Seitdem führt er Krieg. Wird Zeit, dass sich etwas ändert.
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Text: Peter Lau | Foto: Patrick Wirbeleit |
– Zum Krieg gehören zwei. Wenn einer nicht will, kann ihn der andere überfallen, unterwerfen oder gar vernichten, aber er kann gegen ihn keinen Krieg führen. Die 68er riefen zum Krieg gegen das System und verloren: den Kampf gegen den viel stärkeren Staat oder sich selbst im Marsch durch die Institutionen. Doch die sechziger Jahre waren auch der Beginn einer unklareren Bewegung, die heute gern unter “Hippies” zusammengefasst wird. Sie führte keinen Krieg – und konnte deshalb nicht verlieren.
In Werner Piepers großartigem Buch “Alles schien möglich …” erzählen prominente (Günter Wallraff, Peter-Paul Zahl, Hans Peter Duerr etc.) und weniger bekannte “Aktive der 60er”, was sie in jenem Jahrzehnt bewegte und was daraus wurde. Alle Autoren erwähnen natürlich die damaligen Machtverhältnisse, die heute, mit Abstand, grotesk wirken: Das Land wurde von aggressiven Idioten regiert, die von der Politik bis zum Haarschnitt alles bestimmen wollten. Der gesellschaftliche Deal war dabei denkbar schlecht: Verlangt wurde unbedingter Gehorsam, wofür man einen Platz in einer Gesellschaft bekam, von deren Inhalten nur noch Symbole übrig waren – Gesetze statt Gerechtigkeit, störrische Patriarchen statt weiser Alter.
Dagegen rebellierten sämtliche in dem Buch versammelten Autoren, doch für die meisten war der Widerstand nur ein Zwischenstopp: Mit der Zeit wandten sie sich eigenen Interessen zu, Drogen und Esoterik, Fernreisen und fremden Kulturen, Kunst und sinnvoller Arbeit. Und dabei, schreiben sie übereinstimmend, erlebten sie etwas Neues: Sie waren nicht allein.
Das war die Geburtsstunde der Kommunen, WGs, Betriebe im Besitz der Belegschaft und so weiter. Wir kennen das, und wir wissen auch, dass viele gescheitert sind. Aber die Betonung auf die Fehlschläge verdanken wir nicht einer überwältigenden Reihe von Enttäuschungen, sondern einer Macke, die der Mensch im Laufe der Evolution entwickelt hat – wir nehmen vor allem Ausnahmen wahr. In der Vorzeit war das sinnvoll, um auf Neues reagieren zu können, aber in der Medienwelt blockiert unsere Fixierung auf das Besondere den Blick für das Normale. Wir vergessen bei jedem Flugzeugabsturz sowohl die Flugzeuge, die zur selben Zeit nicht abstürzen, wie die Menschen, die gleichzeitig bei Autounfällen sterben – weil die so alltäglich sind.
So ist es wohl auch mit den Hippies der sechziger Jahre, die den Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte markieren. Und ich meine nicht nur den Weg von den Land-WGs zum heutigen Bio-Boom oder das Aufflackern von Spiritualität bis zur New-Age-Wirtschaft. Der Kinowelt-Chef Rainer Kölmel fasst es in seinem Beitrag für “Alles schien möglich …” zusammen, wenn er beschreibt, wie er nach dem Bankrott seiner Firma 2001 noch mal von vorn anfing: “Ich hatte viel gelernt. Das meiste aber in den sechziger Jahren, wo wir den Mut zum Neuanfang entwickelten, den Durst nach Freiheit stillten, die Lust an der Bewusstseinserweiterung fanden und diese ungeheuerliche Neugier uns zu treiben begann, die auch heute noch jeden Tag zum großen Erlebnis macht.”
Kölmels Kinowelt ist eines von unzähligen guten Beispielen: Da hat einer verloren, gegen Gegner, die viel stärker waren, doch statt aufzugeben oder sich ihnen anzuschließen, rappelt er sich auf und versucht es noch mal – ohne die Konfrontation zu suchen. Das war früher unmöglich. In der alten Welt war das beherrschende Prinzip Verdrängung – das Alte musste das Neue zerstören, um an die begrenzten Ressourcen und Produktionsmittel zu kommen. Dank des technischen Fortschritts ist das heute nicht mehr nötig: In der neuen Wettbewerbsgesellschaft geht es nicht darum, wer am schnellsten hundert Meter läuft, sondern wer interessant läuft, wer bessere hundert Meter findet oder eine schöne Alternative, Hammerwerfen zum Beispiel.
Die Jugendbewegungen der fünfziger Jahre waren noch auf Konfrontationskurs mit der alten Welt, die ihnen allerdings auch aufgedrängt wurde – und es fehlte Raum zum Ausweichen. Spätere Bewegungen, von Punk über Bio und Techno bis zur neuen Wirtschaft entwickelten sich zunehmend zu Parallelgesellschaften, die immer noch misstrauisch beäugt und wo es geht behindert werden, die aber letztlich nicht mehr wegzudenken sind. Sie alle teilen das Wissen, dass man anders als die Mehrheit leben kann – das Wissen um die Vielheit.
Und weil die sich nicht gegen andere durchsetzen muss, kann sie ohne Krieg leben. Ein netter Unternehmer schrieb mir kürzlich in einer Mail: “Du kennst ja unsere Strategie: Wir greifen niemanden an und sagen niemandem, was er falsch macht oder wie er es machen sollte. Wir machen einiges einfach anders und zeigen, wie wir es machen. So erspart man sich sinnlose, kraftzehrende Auseinandersetzungen.” Der Krieg ist vorbei.
Und trotzdem geht er weiter: Menschen kämpfen gegen Menschen, Institutionen gegen Ideen und der Staat gegen alle, die etwas von ihm wollen. Warum ist das so? Psychologen glauben, alte Verletzungen reproduzieren sich in neuen Zerstörungen, Soziologen sagen, unsere Gesellschaft fördere autoritäre Persönlichkeiten, Biologen sprechen vom Aggressions-Gen. Ich gehe mit und erhöhe: Wir folgen auch den schlechten Gewohnheiten unserer belämmerten Vorfahren, der Nazis, für die es normal war, aufeinander einzuschlagen, und die bevorzugt jene, die diesen Glauben nicht teilten, ermordeten oder vertrieben. Das beantwortet aber nicht die wichtigste Frage: was jetzt?
Die aktuellen sieben Todsünden sind für mich Gier, Arroganz, Selbstgerechtigkeit, Trägheit, Dummheit, Geiz und Ignoranz. Gegenmittel braucht es nur drei: Intelligenz, bewusst Sein und Miteinander, basierend auf Mitgefühl, der für mich größten Errungenschaft des Menschen – wir wissen, wie sich jemand fühlt, weil wir es nachempfinden können, und so verstehen wir uns jenseits der Worte. Ich glaube, das ist die Basis einer besseren Welt.
Die umso attraktiver wirkt, wenn man sich die Alternative ansieht. Der Amerikaner Ted Rall erzählt in seinem Comic “To Afghanistan and Back” von seiner Zeit im Afghanistan-Krieg 2001. Das größte Problem für ihn wie für die Bewohner der gefährlichsten Gegend des gefährlichsten Landes der Welt war, wie er schreibt, nicht etwa der potenzielle Tod oder die Gewalt sondern der Mangel an Schönem, an Gesprächsthemen und an jeglicher Entwicklung: Krieg ist entsetzlich langweilig. –
In Werner Piepers großartigem Buch “Alles schien möglich …” erzählen prominente (Günter Wallraff, Peter-Paul Zahl, Hans Peter Duerr etc.) und weniger bekannte “Aktive der 60er”, was sie in jenem Jahrzehnt bewegte und was daraus wurde. Alle Autoren erwähnen natürlich die damaligen Machtverhältnisse, die heute, mit Abstand, grotesk wirken: Das Land wurde von aggressiven Idioten regiert, die von der Politik bis zum Haarschnitt alles bestimmen wollten. Der gesellschaftliche Deal war dabei denkbar schlecht: Verlangt wurde unbedingter Gehorsam, wofür man einen Platz in einer Gesellschaft bekam, von deren Inhalten nur noch Symbole übrig waren – Gesetze statt Gerechtigkeit, störrische Patriarchen statt weiser Alter.
Dagegen rebellierten sämtliche in dem Buch versammelten Autoren, doch für die meisten war der Widerstand nur ein Zwischenstopp: Mit der Zeit wandten sie sich eigenen Interessen zu, Drogen und Esoterik, Fernreisen und fremden Kulturen, Kunst und sinnvoller Arbeit. Und dabei, schreiben sie übereinstimmend, erlebten sie etwas Neues: Sie waren nicht allein.
Das war die Geburtsstunde der Kommunen, WGs, Betriebe im Besitz der Belegschaft und so weiter. Wir kennen das, und wir wissen auch, dass viele gescheitert sind. Aber die Betonung auf die Fehlschläge verdanken wir nicht einer überwältigenden Reihe von Enttäuschungen, sondern einer Macke, die der Mensch im Laufe der Evolution entwickelt hat – wir nehmen vor allem Ausnahmen wahr. In der Vorzeit war das sinnvoll, um auf Neues reagieren zu können, aber in der Medienwelt blockiert unsere Fixierung auf das Besondere den Blick für das Normale. Wir vergessen bei jedem Flugzeugabsturz sowohl die Flugzeuge, die zur selben Zeit nicht abstürzen, wie die Menschen, die gleichzeitig bei Autounfällen sterben – weil die so alltäglich sind.
So ist es wohl auch mit den Hippies der sechziger Jahre, die den Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte markieren. Und ich meine nicht nur den Weg von den Land-WGs zum heutigen Bio-Boom oder das Aufflackern von Spiritualität bis zur New-Age-Wirtschaft. Der Kinowelt-Chef Rainer Kölmel fasst es in seinem Beitrag für “Alles schien möglich …” zusammen, wenn er beschreibt, wie er nach dem Bankrott seiner Firma 2001 noch mal von vorn anfing: “Ich hatte viel gelernt. Das meiste aber in den sechziger Jahren, wo wir den Mut zum Neuanfang entwickelten, den Durst nach Freiheit stillten, die Lust an der Bewusstseinserweiterung fanden und diese ungeheuerliche Neugier uns zu treiben begann, die auch heute noch jeden Tag zum großen Erlebnis macht.”
Kölmels Kinowelt ist eines von unzähligen guten Beispielen: Da hat einer verloren, gegen Gegner, die viel stärker waren, doch statt aufzugeben oder sich ihnen anzuschließen, rappelt er sich auf und versucht es noch mal – ohne die Konfrontation zu suchen. Das war früher unmöglich. In der alten Welt war das beherrschende Prinzip Verdrängung – das Alte musste das Neue zerstören, um an die begrenzten Ressourcen und Produktionsmittel zu kommen. Dank des technischen Fortschritts ist das heute nicht mehr nötig: In der neuen Wettbewerbsgesellschaft geht es nicht darum, wer am schnellsten hundert Meter läuft, sondern wer interessant läuft, wer bessere hundert Meter findet oder eine schöne Alternative, Hammerwerfen zum Beispiel.
Die Jugendbewegungen der fünfziger Jahre waren noch auf Konfrontationskurs mit der alten Welt, die ihnen allerdings auch aufgedrängt wurde – und es fehlte Raum zum Ausweichen. Spätere Bewegungen, von Punk über Bio und Techno bis zur neuen Wirtschaft entwickelten sich zunehmend zu Parallelgesellschaften, die immer noch misstrauisch beäugt und wo es geht behindert werden, die aber letztlich nicht mehr wegzudenken sind. Sie alle teilen das Wissen, dass man anders als die Mehrheit leben kann – das Wissen um die Vielheit.
Und weil die sich nicht gegen andere durchsetzen muss, kann sie ohne Krieg leben. Ein netter Unternehmer schrieb mir kürzlich in einer Mail: “Du kennst ja unsere Strategie: Wir greifen niemanden an und sagen niemandem, was er falsch macht oder wie er es machen sollte. Wir machen einiges einfach anders und zeigen, wie wir es machen. So erspart man sich sinnlose, kraftzehrende Auseinandersetzungen.” Der Krieg ist vorbei.
Und trotzdem geht er weiter: Menschen kämpfen gegen Menschen, Institutionen gegen Ideen und der Staat gegen alle, die etwas von ihm wollen. Warum ist das so? Psychologen glauben, alte Verletzungen reproduzieren sich in neuen Zerstörungen, Soziologen sagen, unsere Gesellschaft fördere autoritäre Persönlichkeiten, Biologen sprechen vom Aggressions-Gen. Ich gehe mit und erhöhe: Wir folgen auch den schlechten Gewohnheiten unserer belämmerten Vorfahren, der Nazis, für die es normal war, aufeinander einzuschlagen, und die bevorzugt jene, die diesen Glauben nicht teilten, ermordeten oder vertrieben. Das beantwortet aber nicht die wichtigste Frage: was jetzt?
Die aktuellen sieben Todsünden sind für mich Gier, Arroganz, Selbstgerechtigkeit, Trägheit, Dummheit, Geiz und Ignoranz. Gegenmittel braucht es nur drei: Intelligenz, bewusst Sein und Miteinander, basierend auf Mitgefühl, der für mich größten Errungenschaft des Menschen – wir wissen, wie sich jemand fühlt, weil wir es nachempfinden können, und so verstehen wir uns jenseits der Worte. Ich glaube, das ist die Basis einer besseren Welt.
Die umso attraktiver wirkt, wenn man sich die Alternative ansieht. Der Amerikaner Ted Rall erzählt in seinem Comic “To Afghanistan and Back” von seiner Zeit im Afghanistan-Krieg 2001. Das größte Problem für ihn wie für die Bewohner der gefährlichsten Gegend des gefährlichsten Landes der Welt war, wie er schreibt, nicht etwa der potenzielle Tod oder die Gewalt sondern der Mangel an Schönem, an Gesprächsthemen und an jeglicher Entwicklung: Krieg ist entsetzlich langweilig. –