Eine “Aktuelle Stunde” – nur für den Landrat
Wie berichtet, hatte die SBL/FW-Fraktion für die Kreistagssitzung am Freitag wegen der Ereignisse rund um die Abschiebung des Geschwisterpaars aus Bestwig in dieser Woche den Dringlichkeitsantrag für eine “Aktuelle Stunde” zu diesem Thema eingebracht. Über diesen Antrag zur Tagesordnung wurde zu Beginn der Kreistagssitzung debattiert und abgestimmt. Er wurde von SBL/FW, Grünen, Linken, Pirat und einigen SPD-Kreistagsmitgliedern unterstützt, aber von der Mehrheit des Kreistags abgelehnt.
Der Landrat gab dann selbst eine lange Erklärung zu den Ereignissen vom Rednerpult ab, zu der kein Kreistagsmitglied Fragen stellen durfte. So hatte er seine persönliche “Aktuelle Stunde”, aber die notwendigen Fragen konnten nicht gestellt werden und die Antworten blieben aus. Dies betrifft z. B. die Kernfrage, warum die Ausländerbehörde in Meschede Edgar und Elina trotz gültiger Duldung und wenige Wochen vor ihren Schulabschlüssen abschob, obwohl die Behörde über die Schulausbildungen informiert war. Und warum die Ausländerbehöre behauptet, sie hätte nicht anders handeln können, obwohl sie bei solchen Maßnahmen über einen sehr großen Ermessenspielraum verfügt. Denn die Entscheidung über Durchführung und Zeitpunkt einer Abschiebung wird nur im Kreishaus getroffen, nirgendwo anders! Statt dessen wurde versucht, der Familie und der Flüchtlingsberatung in Meschede indirekt die Schuld für die Durchführung der Abschiebung in die Schuhe zu schieben, wegen angeblich mangelnder Mitwirkung… Hier sollte offensichtlich von der eigenen Verantwortung abgelenkt werden. Auch das Verhalten einiger Polizeibeamter während der Abschiebung gegenüber den beiden jungen Menschen bedarf noch der näheren Betrachtung.
Auf der Zuschauertribüne hatten sich zu Sitzungsbeginn zahlreiche MitschülerInnen von Edgar und Elina eingefunden. Sie machten mutig von ihrem Fragerecht in der Einwohnerfragestunde Gebrauch und äußerten ihr Unverständnis über die Vorgehensweise der Behörden. Auch bei den Schülern und mehreren weiteren Fragestellern wurde von der Sitzungsleitung versucht, ihr Fragerecht einzuschränken, z.B. mit falscher Zählung der gestellten Fragen. Als das Kreistagsmitglied der Piraten sich mit einer Frage selbst an der Einwohnerfragestunde beteiligen wollte, wurde ihm das verwehrt. Die Antworten auf die gestellten Fragen klangen wenig überzeugend und stellten die Schüler nicht zufrieden. Eines wurde aber deutlich: Edgar und Elina werden von ihren Mitschülern sehr geschätzt, und die Schüler werden weiter dafür kämpfen, dass die beiden Armenier ihre Ausbildungen fortsetzen können.
Nachdem die Kreistagsmitglieder zu diesem Thema zunächst schweigen mussten, stellte ein Kreistagsmitglied der SBL/FW-Fraktion wenig später bei dem Tagesordnungspunkt, in dem es um die Operativen Jahresziele der Kreisverwaltung für das laufende Jahr 2016 ging, den Antrag, als weiteres Ziel aufzunehmen: “Der Kreis ermöglicht allen Einwohnern den Abschluss von Schul- und Berufsausbildungen”. Als er in der Begründung des Antrags auf die aktuellen Ereignisse einging und erläuterte, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfte, versuchten Zwischenrufer aus der CDU-Fraktion, diese Ausführungen zu verhindern. Auch das zeigt die mangelnde Sensibilität der Mehrheitsfraktion im Kreistag für die Betroffenheit vieler Menschen, die durch das Vorgehen der Ausländerbehörde in Meschede entstanden ist.
Aber es wurden auch Hoffnungsschimmer deutlich: Mittlerweile scheint im Kreishaus in Meschede die Bereitschaft gewachsen zu sein, dass unter bestimmten Umständen Edgar und Elina ihre Ausbildung fortsetzen können.