„Integration ist ein großer Testfall“
Informations- und Gesprächsabend bei den „Freunden der Völkerbegegnung“
„Wer soll das verstehen?“ fragte spontan eine Zuhörerin beim Gesprächsabend des Vereins „Freunde der Völkerbegegnung am 31. März in Meschede. Die Frage richtete sich sicher weniger an Frau Menne, die für das Ausländeramt des Hochsauerlandkreises zuständige Fachbereichsleiterin, als vielmehr an den Gesetzgeber; denn der fasst das „Bleiberecht für Ausländer“ immer wieder neu in Gesetze und Verordnungen.
Anja Menne referierte an diesem Abend vor den Mitgliedern der „Freunde der Völkerbegegnung“ und interessierten Gästen sehr kompetent und ausführlich über die aktuelle Gesetzeslage. Dabei fielen Wörter wie Altfallregelung, Asylverfahrensgesetz, Fiktionsbescheinigung, Niederlassungserlaubnis, Duldung und Gestattung und viele andere für nicht Eingeweihte selten gehörte Begriffe. Von den 270.000 Menschen im Hochsauerlandkreis hätten ca. 75.000 einen Migrationshintergrund, berichtete Frau Menne. Im Bereich des HSK-Ausländeramts, also ohne die Stadt Arnsberg, denn die hat ein eigenes Ausländeramt, gebe es momentan 480 Geduldete.
Als Geduldete gelten Menschen, die kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland haben. Das können z.B. Flüchtlinge sein, deren Asylverfahren gescheitert ist. Häufig handelt es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, die schon mehr als 15 Jahre hier sind und in Deutschland Familien gegründet haben. Die Zahl der nach Deutschland kommenden Asylbewerber ginge in den letzten Jahren kontinuierlich zurück.
Frau Menne erläuterte, welche Bedingungen für einen dauerhaften Aufenthalt mit der derzeitige Bleiberechtsregelung verbunden sind.
Die sogenannte Altfallregelung sieht u.a. vor, dass der geduldete Ausländer über ausreichend Wohnraum und über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse verfügt, bei Kindern im schulpflichtigen Alter den Schulbesuch nachweist, keine Bezüge zu extremistischen Organisationen hat und nicht vorbestraft ist. Außerdem muss der geduldete Ausländer, der mit minderjährigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, sich seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen in Deutschland als Geduldeter aufgehalten haben. Für einen Alleinstehenden gilt, dass er mindestens seit sechs Jahren ununterbrochen geduldet in Deutschland gelebt haben muss. Zudem darf er die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben (was immer das in der Praxis heißen soll?).
Im Dezember 2009, so berichtete Frau Menne, wurde bei der Innenministerkonferenz die Bleiberechtsregelung verlängert. Der Grund dafür sei die aktuelle Wirtschaftskrise. Ursprünglich wäre die 2007 beschlossene Regelung bis Ende 2009 befristet gewesen. Nun laufe sie erst Ende 2011 aus. Aber das Problem sei wahrscheinlich nur vertagt. Jedenfalls gelte für die betroffenen Menschen, dass sie eine Arbeitsstelle mit einer Einkommenshöhe haben müssen, mit der sie unabhängig von Sozialleistungen sind. (Das bedeutet für eine Familie ein monatliches Einkommen von 1.500 bis 2.000 Euro.) Nur dann könnten sie einen dauerhaften Aufenthaltstitel bekommen. Bis Ende Februar 2010 konnten lt. Frau Menne die entsprechenden Anträge beim Hochsauerlandkreis von den betroffenen Ausländern gestellt werden. 110 Anträge seien eingegangen. Über die meisten sei noch nicht entschieden. Auf die Frage, ob alle in Frage kommenden Personen rechtzeitig informiert worden sind, hieß es, bei allen, bei denen berechtigte Aussicht bestünde, sei das geschehen.
Die Fachbereichsleiterin der Kreisverwaltung ging auch noch auf die Pflichten und Rechte der Ausländer ein, insbesondere auf die geforderten Sprach- und Integrationskurse. Sie erklärte auch, geduldete Ausländer könnten nach vier Jahren Aufenthalt eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten, allerdings erst nach Vorrangprüfung, die bedeute, dass kein Deutscher oder Ausländer mit Arbeitserlaubnis zur Übernahme der Arbeit gefunden wurde.
Auch das unerfreuliche Thema „Beendigung des Aufenthalts“, kurz „Abschiebung“ kam zur Sprache. Momentan von besonderer Brisanz: Zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Gebiet des heutigen Staates Kosovo können betroffen sein, besonders die ethnischen Minderheiten der Roma und Ashkali. Verschiedene EU-Länder, darunter auch Deutschland, schlossen ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen mit dem Kosovo ab. Erste Abschiebeflüge aus NRW in den Kosovo fanden schon statt. Menschenrechtsorganisationen und Kirchen laufen gegen dieses Abkommen und die Abschiebungen Sturm; denn die Zwangsrückschaffung dieser Volksgruppen stellt auf Grund der Diskriminierung in ihrem Herkunftsland und der daraus resultierenden fehlenden Chancengleichheit eine außerordentliche Härte da. Auf dieses Problem machte an diesem Begegnungsabend bei den „Freunden der Völkerbegegnung“ auch ein Vereinsmitglied aufmerksam. In einer Veröffentlichung der Evangelischen Kirche im Rheinland heißt es dazu: „Abgeschobene Flüchtlinge, insbesondere die Roma, haben zurzeit im Kosovo kaum eine Chance, eine menschenwürdige Existenz zu begründen. Sie bleiben von der Wahrnehmung grundlegender wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte weitgehend ausgeschlossen. Viele leben in extremer Armut. Zusätzlich zur alltäglichen Diskriminierung sind sie vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Außerdem hat etwa ein Drittel der Roma keine gültigen Ausweispapiere und ist daher faktisch staatenlos. Dies macht es ihnen unmöglich, ihren früheren Besitz zurückzuerlangen oder Zugang zu Sozialleistungen zu erhalten. Hinzu kommt der Ausschluss der Roma von ärztlicher Behandlung und Bildungsangeboten. Seit dem Herbst 2009 finden Abschiebungen statt. Insgesamt sind 10.000 Roma aus Deutschland und 4.500 Angehörige anderer Minderheiten von der Abschiebung bedroht.“ Ende des Pressezitats.
Im letzten Jahr nahm ein netter junger Mann, der sich zur Volksgruppe der Ashkali zählt, als Gast bei einer Vorstandssitzung der „Freunde der Völkerbegegnung“ die Gelegenheit wahr, über die Situation aus Sicht einer betroffenen Familie zu berichten. Er schilderte eindringlich, unter welchen Umständen er mit seinen Eltern und Geschwistern vor vielen Jahren als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland kam und blieb, und wie dramatisch und nervenaufreibend die Situation für seine von Abschiebung bedrohte Familie jetzt ist.
Frau Menne wurde aus der großen FdV-Gesprächsrunde zu möglichen Abschiebungen von Mitgliedern dieser beiden Volksgruppen gefragt und antwortete, ihres Wissens seien aus dem HSK noch keine Roma oder Ashkali abgeschoben worden.
Auf konkrete Abschiebefälle im HSK, wie sie immer mal wieder auch in der Presse auch in jüngster Zeit thematisiert wurden, wollte die Vertreterin der Kreisverwaltung aus Datenschutzgründen nicht näher eingehen. Über die „Beendigung eines Aufenthaltes“ entscheide das Bundesamt für Migration. Da hätte das HSK-Ausländeramt keinen Spielraum. Wenn ausreisepflichtige Ausländer nicht „freiwillig“ ausreisten, dann drohe die Abschiebung. In bestimmten Fällen würde diese Maßnahme vorher angekündigt. Eine Abschiebung erfolge in der Regel nicht vor 6 Uhr morgens. Die betroffenen Personen dürften bis zu 20 Kilo Reisegepäck mitnehmen. Um die Wohnung und die dort verbliebenen Sachen kümmerten sich nach der Abschiebung die Verwandten. Falls ein abgelehnter Asylbewerber „freiwillig“ ausreise, könne er eine finanzielle Unterstützung durch das Bundesamt für Migration erhalten. Bei einer Abschiebung bekäme er nur ein Handgeld.
Aus der Gesprächsrunde kam die Frage, ob das Ausländeramt letztlich nicht doch einen gewissen Einfluss auf die Abschiebeentscheidung nehmen könne, etwa durch die Auswahl der sogenannten „Abschiebeärzte“, die darüber entscheiden, ob kranke und traumatisierte Flüchtlinge reisefähig sind und ob deren Krankheiten im Herkunftsland behandelt werden können. Auf eine weitere konkrete Frage nach dem wiederholten Einsatz mindestens eines, außerhalb des Sauerlands sehr umstrittenen Psychiaters, antwortete Frau Menne, die Gutachten dieses Arztes seien anerkannt und die Kreisverwaltung wäre mit ihm zufrieden. Nur in einem Fall habe es wegen eines seiner Gutachten juristische Probleme gegeben. Es wurde auch kritisch angemerkt, dass offenbar in einigen Fällen die Abzuschiebenden nicht gleich zum Flughafen zur Sammelrückführung in das Herkunftsland transportiert würden. Es sei doch vor zwei Wochen erst wieder bekannt geworden, dass im März mehrere Mitglieder einer Familie aus dem Kosovo von Polizei und der HSK-Ausländerbehörde in Handschellen abgeführt und in sogenannte Abschiebegefängnisse verbracht wurden. Dort hätten sie einige Tage auf ihren Abschiebeflug warten sollen, wenn die geplante Abschiebung nicht vorerst aus bestimmten Gründen nach einigen Tagen ausgesetzt worden wäre. Frau Menne bejahte, das könne vorkommen, zumal dann, wenn das Ausländeramt damit rechnet, die Leute nicht zu Hause anzutreffen. In einem Fall sei in einer Wohnung ein Schreiben eines Rechtsanwaltes gefunden worden, mit der Empfehlung, die Leute mögen an einem bestimmten Tag wegen der drohenden Abschiebung nicht in ihrer Wohnung sein. Die Abschiebefälle seien schwieriger geworden. Die einfachen Fälle wären gelöst, so Frau Menne.
Auch die mitunter erfolgreiche Arbeit der Härtefallkommission fand noch Erwähnung. Einer der Gäste des FdV-Begegnungsabends stellte sich als betroffener Ausländer vor. Er erzählte, sein Fall liege seit mehreren Monaten bei der Härtefallkommission. Es hätte geheißen, im März würde entschieden. Aber bisher habe er noch nichts gehört. Seine Frau und er lebten schon seit 15 Jahren in Deutschland. Drei seiner vier Kinder im Alter von 11 bis 16 Jahren wären in Deutschland geboren.
Aus den Reihen der mittlerweile dank Frau Mennes Ausführungen doch recht gut informierten Gesprächsteilnehmer kamen noch weitere Fragen und Anregungen. Unzulängliche Sprachkenntnisse auf beiden Seiten würden doch die Kommunikation zwischen Ausländern und Mitarbeitern des Ausländeramtes erschweren und behindern, meinte ein Mitglied des FdV. Darum könnte man doch seitens des Ausländeramtes versuchen, eine Art Netzwerk unter Landsleuten zu initiieren. Wenn Menschen, die schlecht Deutsch sprechen, bei Behördengängen Unterstützung von muttersprachlichen Mitbürgern erhielten, wäre doch beiden Seiten gedient. Eine offenbar sachkundige Teilnehmerin der Gesprächsrunde berichtete, dass ihres Wissens einige andere Ausländerämter auf einen Pool von hilfsbereiten Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern zurück greifen. Frau Menne fand nach eigenem Bekunden die Idee gut.
Zu guter Letzt berichtete Frau Menne noch von verschiedenen Integrationsprojekten, an denen sich der Hochsauerlandkreis beteiligt, wie z.B. dem Festival der Kulturen in Bad Fredeburg, und bedankte sich für das Interesse.
Maria Hüser, die Vorsitzende der Freunde der Völkerbegegnung, bedankte sich ihrerseits bei Frau Menne für die umfangreichen Informationen und die Gesprächsbereitschaft. Zwei Wünsche äußerte Frau Hüser noch. Sie meinte, mehr Publikationen über Integrationsveranstaltungen wären wünschenswert. Und es sei sinnvoll, die Hilfe von Landsleuten zu fördern, z.B. was die Sprache anbelangt. Sie appellierte noch, daran zu denken, dass Ausländer eine Bereicherung sind, auch angesichts der Demographie. Das Ausländeramt möge doch Ermessensspielräume und Interpretationsmöglichkeiten nutzen und Hilfen anbieten. In Anlehnung an ein Buch von Rita Süssmuth fiel Maria Hüser folgendes Schlusswort ein: „Integration ist ein großer Testfall“.
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April 3, 2010 @ 9:50 pm
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