Gesundheitsforum der Friedrich-Ebert-Stiftung: Aussagen von Experten
Als Fortsetzung der gestrigen Berichterstattung über die Veranstaltung am 15.11. in Bestwig veröffentlichen wir noch einige detaillierte Äußerungen von eingeladenen Experten:
Dipl.-Kaufm. Werner Kemper, Sprecher der Geschäftsführung, Klinikum Arnsberg
„In Meschede wurde die Situation diskutiert, wie wir die Krankenhausstrukturen verbessern bzw. verändern können.“ Die sogenannte „fallpauschalisierte Bezahlung“, bei der es um Vorgabemengen für eine Zulassung geht, führte dazu, dass die Abteilung Geburtshilfe geschlossen wurde. So auch in Menden. Das stelle Regionen wie den HSK vor ganz neue Herausforderungen. Die Vorgaben müssten hier in der Region genauso erfüllt werden wie im Ruhrgebiet, schilderte Kemper. Mindestmengen müssten in bestimmten Bereichen erfüllt werden, wie z. B. 160 Kaiserschnitte im Jahr. Um die Mindestmengen zu erfüllen, müsse ein Spezialisten-Team vorgehalten werden. „Die Kliniken stoßen an ihre Grenzen.“
Das Wichtigste seien qualifizierte Mitarbeiter (Ärzte und Pflegepersonal), also Personen, mit denen diese Leistung überhaupt erst erbracht werden könne. „In Meschede werden im Jahr 9,5 Tsd. Patienten behandelt, 40 % sind über 70“, so Kemper. Die ökonomische Herausforderung liege in den Strukturqualitäten. Kemper sprach von einem gewaltigen Strukturwandel, in dem wir uns befinden.
Eine Diskussion über Krankenhausbetten habe keine ökonomische Relevanz mehr. Es ginge nur noch um Leistungsvolumen. „Welche Leistung dürfen wir wo erbringen?“ In der inneren Chirurgie gäbe es nicht mehr so viele Restriktionen. Aber natürlich sei es für ein KH auch wichtig, eine bestimmte Größe zu haben.
Dr. med. Hans-Heiner Decker, Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe, Leiter der Bezirksstelle Arnsberg
Es sei zwar ein Problem, junge Nachfolger zu finden, doch im HSK seien derzeit alle Plätze von Haus- und Fachärzten besetzt. Lediglich Brilon sei ein kritischer Bereich. „ Aber auch da sind wir zuversichtlich“, so Dr. med. Decker. „Doch was ist, wenn ein Sitz plötzlich frei wird?“
Dr. med. Decker hält Kooperationen für sinnvoll. Hausärzte könnten sich z. B. mit Fachärzten zusammenschließen. „Wir brauchen kooperative Strukturen mit Begleitung, die die Administration enthält“, so seine Forderung. Als Beispiele nennt er die Kooperation von Hausärzten mit Kinderärzten, Neurologen mit Psychiatern, Urologen mit Nephrologen oder Krankenhäuser mit Support-Anästhesie.
Der HSK habe ein großes Einzugsgebiet (200 bis 250 Tsd. Einwohner) und viele Vorzüge. Allerdings schrecke die hohe Arbeitsbelastung mit Notdiensten (im stationären Bereich jedes dritte Wochenende) ab. „Vieles ist vorprogrammiert.“ Dass die Patienten oft weite Strecken fahren müssen, z. B. von Brilon bis nach Arnsberg, schaffe zwar Unmut, doch die Dermatologie lasse sich nicht mit der Chirurgie zusammenschließen. Und: Zahlen auf dem Lande könnten nicht mit denen im Ruhrgebiet verglichen werden.
Frauen sollten in abgespeckter Form in eine Niederlassung gehen können. Zum Thema Numerus Clausus: „Der gehört eigentlich abgeschafft.“
Frederik Ley, Vorsitzender Regionalleitung DB Regio Bus NRW
Auch die Deutsche Bahn widmet sich dem Thema Gesundheitsmobilität: „Wie kommt der Patient zum Arzt und umgekehrt?“ Ley stellte den Medibus vor. Dieser integriert eine Vollausstattung für einen Hausarzt und moderne IT. In der Flüchtlingsversorgung wurde er bereits eingesetzt. „Der Medibus bietet die Flexibilität, Orte zu erreichen. Auch kann das Problem der Teilzeit gelöst werden“, so Ley. Ein kleiner Mosaikstein sozusagen, um das Problem im ländlichen Raum zu bedienen.
Max Müller, Chief Strategy Officer, DocMorris
Max Müller ist einer von vier Vorstandsvorsitzenden bei DocMorris. Er schilderte die Gesetzesgrundlage zur Gesundheitsversorgung: „§ 2 Abs. 2 Satz 1 Raumordnungsgesetz (ROG) besagt: Im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und in seinen Teilräumen sind ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben.“
Laut einer Studie aus Niedersachsen würden diejenigen Studenten, die aus dem ländlichen Raum stammen, nach dem Studium auch wieder zurückkehren.
Er sieht folgende Ursachen der Problematik des Ärztemangels:
1. Die Anzahl der Studienplätze ist zurückgegangen.
2. In bestimmten Regionen fehlten finanzielle Anreize. Es sei schwierig, junge Ärzte aufs Land zu holen (Beispiel: Erzgebirge, Schwarzwald) – zumal wenn auch noch die Möglichkeiten der Digitalisierung wie Smartphone oder Breitbandstrukturen nicht vorhanden sind.
3. Auch die Frage: „Wo kann mein Lebenspartner arbeiten, wo kann ich die Kinder betreuen lassen?“ sei wichtig.
Die Online-Apotheke wird nächstes Jahr 18 Jahre alt. Es sei ein spannender Prozess, wenn eine Berufsordnung geöffnet wird und Onlinetechnologien wie die Onlinesprechstunden und die Telemedizin die Akzeptanz der Verbraucher finden. Müller prophezeit: „Das wird in Zukunft häufiger passieren, das ist ein Zeichen von „nicht abgehängt sein.“
Gesundheitswesen sei primär ein individuelles Thema. „Wir müssen uns neuen Möglichkeiten widmen, das Gesundheitswesen muss finanzierbar sein und wir müssen uns Gedanken darüber machen, mit weniger Menschen das System aufrecht zu erhalten“, so Müller.
Anstelle einer dauerhaften Konfrontation sollten Online und Stationär miteinander kooperieren. Denn wir sollten uns die Frage stellen: „Wie geht es uns morgen?“
Dr. Christof Bartsch, Bürgermeister der Stadt Brilon
Dr. Bartsch vertritt die kommunale Perspektive und spricht für viele Kollegen im HSK. Sein Ziel: Ein Bewusstsein für die Problematiken zu schaffen und im Rahmen der Vorbeugung nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
„13700 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer müssen auf Dauer Arbeitsplätze besetzen (Anm.: im HSK). Alle Standortfaktoren müssen berücksichtigt werden, um die Regionen attraktiver zu machen“, schildert er. Nicht nur die Ärzteschaft ist betroffen.
Was die Gesundheitsversorgung angeht, erwarte der Bürger eine Haus- und Fachärzteschaft, die den Bedarf deckt. In Brilon seien bei 12 niedergelassenen Hausärzten sieben älter als 60 Jahre. Eine Befragung in Brilon habe gezeigt, dass fast 90 % keine Nachfolgeregelung getroffen haben. Nun sei die Kommune gefordert, sich Lösungen zu überlegen – und zwar jenseits von Marktentwicklungen.
Den Medibus sieht er als eine gute Alternative, wenn die Not sehr groß ist – wie z. B. bei den Impfaktionen und Untersuchungen der Flüchtlinge. Einen Patientendurchlauf stellt er aber wegen der wechselnden Fremdärzte in Zweifel.
„Der Bürger erwartet ein Krankenhaus am Ort, eine ortsnahe Versorgung im Grund- und Regelbereich“, so der Bürgermeister. Die Frage der Krankenhausfinanzierung (wegen der Fallpauschalen und der Vorgaben) sei ein Problem. Das sei ein Weg, der aus seiner Sicht der falsche ist. Einen Wettbewerb für Krankenhäuser auszurufen, der nicht Markt ist (bei vorgegebenen Preisen), sei eine Fehlentscheidung.
Zu Müller: „Jedes Angebot schafft auch eine Nachfrage!“ Die Krankenhausversorgung, die schnelle Versorgung im Notfall und die ortsnahe Bereitstellung von Medikamenten seien für ihn Vertrauenssache. Die niedergelassenen Ärzte und Apotheker kämen dem Erfordernis der Versicherungen nach. Sie stellen Tag- und Nachtdienste bereit und halten Angebote wie Pflegeeinrichtungen vor. Außerdem stellen sie Ausbildungsplätze vor Ort zur Verfügung und führen hier die Steuern ab.
Dr. Bartsch plädiert in Anbetracht der veränderten Anforderungen (Tendenz zur Anstellung, erhöhte Versorgungsbedürfnisse einer älteren Gesellschaft) für ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) oder ein Gesundheitshaus. Das sei ein Ansatz, den man weiter verfolgen sollte. Das sei die Lösung für die Zukunft der Kommunen als Wirtschafts- und Standortfaktor. Denn: „Wenn die Versorgung geht, gehen auch die Menschen.“