Neue Schulen braucht das Land!
Ministerin der alten Schule
Viel Kritik erntet Schulministerin Barbara Sommer (CDU) für ihr Festhalten an dem dreigliedrigen Schulsystem – auch aus den eigenen Reihen: “Das NRW-Schulgesetz bremst Reformen”, so CDU-Landrätin Lieselore Curländer
VON JOHANNA RÜSCHOFF UND NATALIE WIESMANN
NRW soll eine Gemeinschaftsschule schaffen. Dies fordern neben Bildungsexperten und der Opposition nun auch einzelne CDUler. Auslöser ist die harsche Kritik von UN-Menschenrechtsinspektor Vernor Muñoz. Dieser hatte beklagt, dass das System aus Haupt-, Realschule und Gymnasium arme Kinder, SchülerInnen aus Migrantenfamilien und Kinder mit Behinderungen benachteilige.
Lieselore Curländer, CDU-Landrätin aus dem Kreis Herford, wünscht sich mehr Mut zu Reformen: “Das Schulgesetz von Schwarz-Gelb bremst.” Sie plädiert dafür, dass Kommunen und Kreise selbst entscheiden, ob sie Schulformen zusammenlegen. In anderen CDU-geführten Kommunen werden bereits Fusionen vorbereitet oder Schulen umgewandelt – oft aus pragmatischen Gründen: weil der Zulauf an Gesamtschulen extrem hoch ist oder Schulen aus demographischen Gründen zu wenig Schüler haben (siehe Kästen). Auch der CDU-Landtagsabgeordnete Josef Wilp aus Emsdetten sagte der taz: “Ich bin dafür, dass wir keine fundamentalistische Schulpolitik betreiben, sondern vernünftig mit bestimmten Entwicklungen umgehen.”
Schulministerin Barbara Sommer (CDU) will die Kritik von Muñoz nicht annehmen: “Der Vorwurf, es gebe eine ausgeprägte Auslesementalität, trifft nicht zu”, sagte sie. Schüler würden in NRW individuell gefördert. “Sommer hat nichts verstanden”, sagt hingegen Werner Kerski, Landesvorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG). “Wenn sie sagt, in unseren Schulen würde nicht sozial selektiert, ist das unhaltbar.”
Auch die Opposition will ein neues Schulsystem: “Was soll eigentlich noch passieren, damit Sommer ihre Scheuklappen ablegt?”, sagt Sylvia Löhrmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag. Die Leidtragenden dieser ignoranten Haltung seien in erster Linie die Schülerinnen und Schüler in NRW.
“Grob fahrlässig” verhalte sich ihre Nachfolgerin, wenn sie Muñoz nicht ernst nehme, sagt auch Ex-Schulministerin Ute Schäfer (SPD). Doch auch sie hat während ihrer Amtszeit die Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems nicht vorangetrieben. Heute schaut Schäfer selbstkritisch zurück: “Ich hätte vielleicht ein bisschen mutiger sein können.” Doch jetzt sei die Zeit für eine strukturelle Reform reif, “weil die Stimmen dafür immer lauter werden.”
Diese Stimmen erheben die Lehrergewerkschaften GEW und VBE sowie renommierten Bildungsforschern wie Klaus Klemm von der Uni Duisburg-Essen oder dem Dortmunder Pädagogen Ernst Rösner – der bereits 1989 ein Buch mit dem Titel “Abschied von der Hauptschule” veröffentlichte.
taz NRW Nr. 8233 vom 23.3.2007, Seite 1, 93 TAZ-Bericht JOHANNA RÜSCHOFF / NATALIE WIESMANN