Landrat im virtuellen Büßerhemd
In der Kreistagssitzung am 29. August ging es auch um die Genehmigung einer Dringlichkeitsentscheidung, und zwar über die Vergabe der Schülerfahrten zu den kreiseigenen Förderschulen. Für diese Schulen sind spezielle Buslinien eingerichtet, die die Schüler abholen und wieder nach Hause bringen. Für 5 der 7 Förderschulen stand jetzt die Vergabe für die nächsten 5 Schuljahre an, in 57 einzelnen Losen. Bereits am 30. April war die Submission (Offenlegung der Angebote) erfolgt. Am 6. Juni genehmigten der Landrat und ein weiteres Kreistagsmitglied per Dringlichkeitsentscheidung die Vergabevorschläge der Kreisverwaltung.
Für Vergabeentscheidungen mit einem Volumen von mehr als 750.000 Euro ist aber der Kreistag selbst zuständig. Falls dessen Einberufung aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist, dann ist der (kleinere) Kreisausschuss gesetzlich zuständig. Und nur in den ganz eng begrenzten Ausnahmefällen, falls sogar der Kreisausschuss nicht mehr einberufen werden kann und außerdem dem Kreis schwerer wirtschaftlicher Schaden droht, darf eine Dringlichkeitsentscheidung getroffen werden, durch den Landrat und ein weiteres Kreistagsmitglied. Dann aber muss der Kreistag in seiner nächsten Sitzung diese Entscheidung genehmigen.
Das ist bei der Vergabe der Schülerfahrten völlig schief gegangen. Die Notwendigkeit einer Dringlichkeitsentscheidung bestand hier nicht, denn das Vergabeverfahren war seit langer Zeit planbar. Und es wäre ausreichend Zeit gewesen, für die Vergabeentscheidung die 16 Mitglieder des Kreisausschusses zu einer Sitzung einzuladen. Immerhin geht es – wie dem Kreishaushalt zu entnehmen ist – um mehr als 1 Mio Euro pro Jahr, bei einer Vergabe über 5 Jahre also um mehr als 5 Mio Euro. Es kam noch schlimmer: Nach der Dringlichkeitsentscheidung am 5. Juni unterblieb die gesetzlich erforderliche Unterrichtung und Beteiligung des Kreistags in dessen nächster Sitzung am 27. Juni. Diese erfolgte erst in der übernächsten Sitzung am 29. August, nach fast drei Monaten. Besonders auffällig: Die Drucksache 8/1044 über die Dringlichkeitsentscheidung trägt zwar das Datum vom 5. Juni, wurde den Kreistagsmitgliedern aber ‘vorsichtshalber’ (?) erstmals am 18. Juli per Mail übermittelt. 43 Tage lang schlummerte der brisante Vorgang in den Schubladen der Kreisverwaltung… Bei der Durchführung des Verfahrens haben also die zuständige Amtsleiterin und die Leitung der Kreisverwaltung völlig versagt.
Nur auf Antrag der SBL gab es überhaupt eine Erörterung des Verfahrens im öffentlichen Teil der Kreistagssitzung. Immerhin gestand der Landrat ein, dass hier Fehler passiert sind und sich so etwas nicht wiederholen sollte: Wenn er ein Büßerhend besäße, hätte er es heute angezogen. Die SBL hatte wegen der drastischen Mängel eine Änderung der Geschäftsordnung beantragt, mit der Dringlichkeitsentscheidungen deutlich erschwert und die Informationspflichten gegenüber dem Kreistag verbessert werden sollten. Sogar die SPD-Fraktion übte zaghafte Kritik am Ablauf; ein seltenes Ereignis. Man einigte sich schließlich darauf den Vorschlag des Landrats anzunehmen, dass Landrat und Kreisverwaltung zur nächsten Kreistagssitzung Vorschläge zur Änderung der bisherigen Abläufe vorlegen.
Ein weiteres sehr großes Problem sind die Wertungen der in diesem Verfahren eingegangenen Angebote und die daraus entstandenen Vergabeentscheidungen. Immerhin geht es hier sowohl um sehr viel Geld für den Kreis als auch um eine ordentliche Entlohnung der Mitarbeiter der Busunternehmen. Je ein Kreistagsmitglied der SBL und der Linken stellten bei einer Akteneinsicht am 19. Juli im Vergabeamt der Kreisverwaltung eklatante und bisher unvorstellbare Mängel fest. Einzelheiten können wir hier nicht berichten, da die Vergabeangelegenheiten nichtöffentliche Themen sind. Eine am folgenden Tag von den beiden Kreistagsmitgliedern eingebrachte schriftliche Anfrage an den Landrat, die etwas Licht in die Angelegenheit bringen sollte, wurde vom Landrat bis zur Kreitagssitzung nicht beantwortet; über die Nichtbeantwortung wurden die Fragesteller erst nach 9 Tagen, direkt vor der Kreistagssitzung, informiert. Es bleibt also noch sehr viel Klärungsbedarf, und die Angelegenheit wird die Gremien des Kreises noch öfters beschäftigen. Und der Eindruck liegt nahe, dass die zuständige Amtsleiterin nicht nur beim formalen Ablauf der Entscheidung (s.o.), sondern auch bei der Wertung der in diesem Verfahren eingegangenen Angebote hoffnungslos überfordert sein könnte. Das könnte auf Dauer für den Kreis und somit für uns alle sehr teuer werden…