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Was wird aus der Sperrklausel für die Kommunalwahl?

By adminRL at 11:57 pm on Friday, June 9, 2017

Sperrklausel-Klage – Wer schreibt, der bleibt?

Jubiläum
Vor fast genau einem Jahr – am 10.06.2016 – hatte der NRW-Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD und Grünen beschlossen, dass ab der nächsten Kommunalwahl nur noch Parteien und Wählergruppen bei der Sitzverteilung berücksichtigt werden, die mindestens 2,5 Prozent der Stimmen erhalten haben. Dafür wurde dann nicht nur das Kommunalwahlgesetz geändert, sondern auch die Landesverfassung.

Klagen
Mehrere kleinere Parteien und Wählergemeinschaften halten die Sperrklausel für alles andere als demokratisch. Sie reichten daher beim Landesverfassungsgerichtshof in Münster fristgerecht eine Organklage ein. Ende des letzten Jahres lagen laut Medienberichten 9 Klagen vor. Zu den Klägern gehören beispielsweise die PIRATEN-Partei, DIE LINKE, PRO NRW, die ÖDP gemeinsam mit den FW sowie mit Schreiben vom 09.12.2016 die Wählergemeinschaft Sauerländer Bürgerliste e.V.
Anmerkung: Die SBL ist als Fraktion Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) seit über 10 Jahren im Kreistag des Hochsauerlandkreises vertreten.

Standpunkt
Zwischenzeitlich erhielt die SBL umfangreiche Schreiben aus Meerbusch und Münster. Um es kurz zu machen, der Bevollmächtigte des Landtags und der Verfassungsgerichtshof für das Land NRW stellen sich auf den Standpunkt, dass der von der Sauerländer Bürgerliste e.V. eingereichte Antrag formal „unzulässig“ sei, da nur Parteien im Sinne des Parteiengesetzes und nicht kommunale Wählervereinigungen bei Organstreitverfahren auf Landesebene beteiligungsfähig wären.

Reaktion
Die Sauerländer Bürgerliste teilte daraufhin dem Landesverfassungsgerichtshof mit, sie sei mit der Verfahrensweise nicht einverstanden und führte dazu detailliert in 6 Punkten ihre Argumente aus.
Unwahrscheinlich, dass sich jemand damit die Zeit mit solchen Argumentationen zum Erhalt der Demokratie um die Ohren hauen möchte!? Trotzdem und für alle Fälle, hier die Ausführung zur Sache. Die Sauerländer Bürgerliste e.V. schrieb mit Datum vom 23.05.2017 an die Präsidentin des Landesverfassungsgerichtshofs:

1. Kommunale Wählervereinigung als Verein ohne überregionale Gliederung
Die Sauerländer Bürgerliste e.V. (SBL) ist tatsächlich keine Partei im Sinne des Parteiengesetzes, da sie nicht auf Bundes- und Landesebene aktiv ist und dies auch – entsprechend der Aufgabenstellung laut ihrer Satzung – nicht sein will. Damit kann sie die Anforderung laut § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG, “an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken” zu wollen, nicht erfüllen.
Die SBL mit Sitz in Meschede ist als eigenständiger Verein in das örtlich zuständige Vereinsregister eingetragen. Ihre Tätigkeit ist gemäß § 2 der Vereinssatzung auf das Gebiet des Hochsauerlandkreises begrenzt. Seit 2006 ist die SBL ununterbrochen im Kreistag des Hochsauerlandkreises vertreten und hat sich an den letzten beiden Kommunalwahlen 2009 und 2014 beteiligt. Die SBL ist – im Gegensatz zu den in ihrem Gebiet tätigen Parteigliederungen – nicht Untergliederung irgendeines Dachverbandes oder einer anderen Organisation. Daher ist die SBL gleichzeitig das “höchstrangige” Element auf Landesebene und kann ihre Rechte nur selbst wahrnehmen.
Im konkreten Streitfall ist die SBL von einer Entscheidung des Landtags so betroffen, dass die Fortdauer ihrer politischen Arbeit, also ihres Vereinszwecks, gefährdet ist. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den politischen Wettbewerb im Hochsauerlandkreis. Es gibt innerhalb des Kreisgebiets keine Institution, bei der die SBL ihre Rechte aus der Entscheidung des Landtags geltend machen und dagegen vorgehen könnte. Der einzig mögliche Rechtsweg ist also eine Organklage gegen den Landtag.

2. Rechtsstaatsprinzip
Aus Art. 20 GG ergibt sich, dass die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat ist.
“Das Rechtsstaatsprinzip … ist grundsätzlich in Art. 20 Abs. 3 GG angelegt und verbindet in der Sache die Prinzipien des formalen und materialen Rechtsstaats. Während der formale Rechtsstaat die Staatsgewalt durch Kompetenz¬zuwei¬sungen, Verfahrensregelungen und Or-ganisationsprinzipien bindet, sieht sie sich durch den materialen Rechtsstaat – vor allem vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen des Nationalsozialismus – auf inhaltliche Rechtswerte verpflichtet, zu denen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zählen.” (Maunz/Dürig, Komm zum GG, Art. 102, Rn 28)

“Das Grundgesetz bekennt sich damit zu einer organisatorischen Ausgestaltung der Staatsgewalt, die sich an der tradierten Dreiteilung der Staatsgewalt in Legislative, Exekutive und Judikative orientiert. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 knüpft an die dieser Dreiteilung entsprechende funktionale Gewaltenteilung bzw. Gewaltenunterscheidung an.”
(Maunz/Dürig, Komm zum GG, Art. 20, Rn 78)

Die Gewaltenteilung gehört also zu den grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats.
Damit diese Gewaltenteilung funktioniert, muss ein gangbarer Rechtsweg eröffnet sein:
“Das Rechtsstaatsprinzip vermittelt hier nach Ansicht des BVerfG einen Anspruch auf Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte, der als Justizgewähranspruch bezeichnet wird.” (Maunz/Dürig, Komm zum GG, Art. 20, Rn 133).
Dieser Justizgewähranspruch wäre dann nicht erfüllt, wenn sich eine Kommunale Wählervereinigung nicht gegen verfassungswidrige und sie existentiell benachteiligende Entscheidun-gen des Landtags wehren kann.

3. Rechte von Wählervereinigungen
Die aus Art. 3 GG abgeleitete Chancengleichheit von Wählervereinigungen im Vergleich zu Parteien hat auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einen hohen Rang. Hierzu ist insbesondere auf den Beschluss des BVerfG vom 17. April 2008 – 2 BvL 4/05 hinzuweisen. Darin heißt es u.a.: ”
“Das Recht auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) ist verletzt, wenn Zuwendungen an politische Parteien im Sinne des § 2 des Parteiengesetzes steuerfrei gestellt sind, Zuwendungen an kommunale Wählervereinigungen und ihre Dachverbände dagegen nicht.”
Auch in der Begründung bringt das BVerfG klar zum Ausdruck, dass kein Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Parteien und kommunalen Wählervereinigungen besteht. So wird ausdrücklich auf die “verfassungsrechtlich geforderte(n) Chancengleichheit im politischen Wettbewerb” hingewiesen und des BVerfG stellt fest, dass dieser Grundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt (C II).
Weiter heißt es dort:
“Für die Differenzierung zwischen Parteien und kommunalen Wählervereinigungen und ihren Dachverbänden gibt es keine tragfähigen verfassungsrechtlichen Gründe… Beide Gruppen treten jedenfalls auf kommunaler Ebene in einen politischen Wettbewerb.”
Diese Grundsätze sind nicht nur für den Bereich des Steuerrechts anwendbar, sondern für die gesamte Tätigkeit der Parteien und Wählervereinigungen.

4. Wählervereinigungen im Steuerrecht
Der Bundesgesetzgeber behandelt Parteien und Wählervereinigungen auch im Einkommensteuergesetz hinsichtlich der sog. Parteispenden gleich und macht damit ihren Stellenwert deutlich.
In § 34g EStG werden
“politische Parteien im Sinne des § 2 des Parteiengesetzes”
und
“Vereine ohne Parteicharakter, wenn
a) der Zweck des Vereins ausschließlich darauf gerichtet ist, durch Teilnahme mit eigenen Wahlvorschlägen an Wahlen auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene bei der politischen Willensbildung mitzuwirken”
in gleicher Weise genannt.
Der Bundesgesetzgeber macht auch damit deutlich, dass Parteien und Wählervereinigungen als Organisationen zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung einen gleichen Stellenwert haben.

5. Parteifähigkeit von politischen Parteien im Organstreitverfahren
Sogar in der vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs herausgegebenen “Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen” (Münster 2002) wird darauf hingewiesen, dass die Parteifähigkeit politischer Parteien vom Verfassungsgerichtshof weit ausgelegt wird. Pieroth führt dazu aus:
“Diese waren … schon früh in einer Plenarentscheidung als parteifähig im Organstreitverfah-ren anerkannt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat das damit begründet, dass Art. 21 GG die politischen Parteien ‘zu notwendigen Bestandteilen des Verfassungsaufbaus’ gemacht habe und sie bei der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes Funktionen eines Verfassungsorgans ausüben … Einbezogen wurden dabei auch die Untergliederungen der politischen Parteien.” (a.a.O., S. 108 f.).
All dies trifft auch für für den Kreistag kandidierende und im Kreistag vertretene Kommunale Wählervereinigungen zu, insbesondere für die Antragstellerin im laufenden Verfahren. Sie darf nach dem Gleichheitsgrundsatz in ihren rechtlichen Möglichkeiten nicht schlechter ge-stellt werden als Untergliederungen politischer Parteien im Land NRW.

6. Rechtsfolgen einer Nicht-Parteifähigkeit der SBL
Wenn nun kommunalen Wählervereinigungen jede Möglichkeit genommen würde, sich gegen verfassungswidrige Entscheidungen des Landtags durch eine Organklage zu wehren, würde dieses eine erhebliche Ungleichbehandlung im Vergleich zu Parteien nach Parteiengesetz darstellen. Der Wettbewerb auf kommunaler Ebene würde zu Lasten der kommunalen Wählervereinigungen und zu Gunsten der Parteien erheblich beeinflusst. Denn die Parteien hätten dann die Möglichkeit, durch ihre Mandatsträger im Landtag die Gesetzgebung zum Nachteil kommunaler Wählervereinigungen zu gestalten und ihren lokalen Untergliederungen dadurch Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das könnte bis hin zu willkürlicher Gesetzgebung reichen.
Im konkreten Streitfall zeigt sich, dass sich im Landtag eine Mehrheit aus Landtagsabgeordneten großer und “etablierter” Parteien gefunden hat, die mit ihren Beschlüssen zur Sperrklausel die Wahlchancen kommunaler Wählervereinigungen verschlechtert hat.
Im Gegensatz zu anderen Wahlgebieten besteht im Hochsauerlandkreis die in der Organklage näher ausgeführte besondere Situation, dass im Kreistag durch die Fraktionen CDU, SPD, FDP und Grüne faktisch eine “GanzGanzGroßeKoalition” (GaGaGroKo) gebildet wurde; die oppositionellen Parteien verfügen zusammen nur über 5 der 54 Sitze. Es droht bei der nächsten Kommu¬nalwahl durch eine Sperrklausel also der völlige Verlust jeglicher Opposition, wenn aufgrund der Gesetzgebung des Landtags im nächsten Kreistag des Hochsauerlandkreises SBL, Linke und Piraten nicht mehr vertreten sein sollten.
Diese Perspektive unterscheidet sich erheblich von derjenigen in anderen Wahlgebieten in NRW und findet sich auch in keiner der anderen gegen die Sperrklausel eingereichten Organklagen wieder. Sie würde daher vom Verfassungsgerichtshof nicht berücksichtigt werden, falls die Organklage der SBL nicht zugelassen werden würde.
In der Konsequenz bliebe im Falle einer Nichtzulassung der Organklage der Antragstellerin nur der Weg zum Bundesverfassungsgericht, was auch erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die im Herbst 2020 in NRW anstehenden Kommunalwahlen zur Folge haben könnte.“

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